Zeitgenössisches Experiment im Konflikt mit Denkmalpflege?

Friedrich Bouvier
Zeitgenössisches Experiment im Konflikt mit Denkmalpflege?

Die Grazer Andräkirche, die 1616 bis 1627 von den Dominikanern anstell­e einer älteren Pfarrkirche errichtet wurde, lag ursprünglich am Rande der Murvorstadt. Heute ist sie in das vor allem im 19. Jahrhundert stark vergrößerte Stadtgebiet eingewachsen und zum Mittelpunkt eines innerstädtischen Bezirks geworden. Trotzdem unterscheidet sich die Andräpfarre heute von anderen Pfarren der Stadt. Ein großer Anteil der Pfarrbevölkerung besteht aus Zugezogenen verschiedenster Provenienz. Dies erfordert eine besondere Form der pastoralen Arbeit. In der Tradition der einst hier tätigen Dominikaner, „den Namen des Herrn Jesus Christus aller Welt zu verkündigen”, bemüht sich die Pfarr­e, gerade mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen und ihnen eine neue geistige Heimat zu bieten.
Einer der Wege zu diesem Ziel ist für Pfarrer Hermann Glettler die öffentliche Auseinandersetzung mit moderner Kunst in und an seiner Kirche. Er hat sehr konsequent ab 2001 die ehemalige Dominikanerkirche St. Andrä mit zeitgenössischer Kunst ausgestattet. Ein solcher Vorgang ist grundsätzlich nicht neu.

Schon seit der Frühzeit des Christentums wurden Gotteshäuser mit Werken der jeweiligen Gegenwartskunst „modernisiert“. Dabei ging man in der Vergangenheit nicht immer sorgsam mit dem Bestand um. Wie viele gotische Flügelaltäre mit wertvollen Schnitzwerken oder Tafelbildern wurden, dem Trend der Zeit folgend, durch Renaissance- und später durch Barockeinrichtungen ersetzt. Die lebensfrohe Barockzeit kümmerte sich wenig um den mittelalterlichen Bestand. Auch die Steinrippen gotischer Gewölbe wurden ungeachtet allfälliger daraus resultierender baulicher Schäden abgenommen, wenn sie der barocken Ausmalung des Kirchenraumes im Wege standen (Beispiele: Marienkirche in Pernegg, St. Georgskirche in Adriach). Nicht selten aber wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der Zeit des Historismus, barocke Einrichtungen gotischer Kirchen wiederum entfernt und im Stil der Neugotik regotisiert (Beispiel: Stadtpfarrkirche zum Hl. Blut in Graz). Dass zeitgemäße Umgestaltungen wie beispielsweise die Barockisierung so mancher gotischer Kirchen aber auch neue Qualitäten geschaffen hat, darf nicht übersehen werden. Eines der positiven Beispiele dafür ist der Grazer Dom, dessen gotische Architektur aus dem 15. Jahrhundert mit der Barockeinrichtung des 18. Jahrhunderts eine großartige künstlerische Symbiose bildet. Auch in der Andräkirche, die im Stil einer spätgotischen Staffelhallenkirche errichtet wurde, trägt die hoch qualitative Barockausstattung aus dem 18. Jahrhundert maßgeblich zu einem ästhetisch überzeugenden Gesamteindruck bei. Die Umgestaltungen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts haben das Gesicht der Kirche wiederum wesentlich verändert. Der Hochaltar, der bis dahin den Chorraum der Mönche von der übrigen Kirche getrennt hatte, wurde an seinen heutigen Platz zurückversetzt und in wesentlichen Teilen umgestaltet. Auch weitere Altäre wurden neu arrangiert, Skulpturen hinzugefügt und einige Heiligenfiguren verändert bzw. mit neuen Attributen versehen.
Seit dem Jahre 1923 „wacht“ das Bundesdenkmalamt als staatliche Behörde und seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts die von Diözesanbischof Johann Weber eingesetzte bischöfliche Kunst- und Liturgiekommission über alle Maßnahmen im Bereich eines Gotteshauses, die mit baulichen und künstlerischen Veränderungen verbunden sind. So ist es gerade in der Steiermark, auch durch die Ausschreibung künstlerischer Wettbewerbe, zu qualitätvollen neuen Altarraumgestaltungen im Sinne des II. Vatikanischen Konzils gekommen.

In der Grazer Andräkirche überrascht jedoch die Vielzahl und Vielfalt der künstlerischen Interventionen im Kirchenraum und an der Fassade. Zahlreiche namhafte Künstler haben auf Einladung von Pfarrer Glettle­r in der Kirche ihre Spuren hinterlassen. Manche zeitlich begrenzt, manche dauerhaft. Manche Werke mit großem und nachvollzieh­barem Symbolgehalt, andere in ihrer künstlerischen Aussage schwer verständlich. So wurde die Andräkirche im Laufe der Zeit zu einem Begegnungs- und Konfrontationsort mit zeitgenössischer Kunst. Eine Fülle von Eindrücken fordert den Kirchenbesucher heraus, sich mit den künstlerischen Äußerungen auseinander zu setzen. Ob dies der Grundfunktion einer Kirche entspricht, nämlich sich beim Gottesdienst auf das Wesentliche konzentrieren und sich beim Einzelbesuch der Kirche im stillen Gebet sammeln zu können, bleibt zu hinterfragen. Dies zu entscheiden liegt jedoch nicht im Auftrag des Denkmalpflegers.

Oft wird die Frage gestellt, wie denn so unübersehbare Eingriffe zeit­genössischer Kunst, sowohl im Inneren wie auch im Äußeren, an einem denkmalgeschützten Sakralbau möglich sind? Befindet sich das Experiment ANDRÄ KUNST also im Widerstreit mit einer verantwort­lichen Denkmalpflege und Kulturguterhaltung?

Wesentlich in diesem Zusammenhang ist aus der Sicht der Denkmalpflege die Feststellung, dass es sich bei der Andräkirche um einen Einzelfall handelt, der nicht auf andere Kirchen modellhaft übertragen werden kann. Die tatsächlich vorhandenen Gestaltungsfreiräume (eine ungestaltete Kapelle mit einem fehlenden Altarbild; Fensterflächen, die nur mit wertlosem Industrieglas gefüllt waren u.a.) wurden sehr offensiv wahrgenommen und mit Kunst heutiger Zeit bespielt. Die künstlerischen Eingriffe der letzten 10 Jahre haben zwar das Erscheinungsbild der Kirche, aber in keinem Fall ihre bauliche Substanz verändert. Abgesehen von einzelnen Fenstergestaltungen sind alle neuen Kunstinterventionen im Zweifelsfall auch wieder reversibel. Nicht unerwähnt bleiben soll der Umstand, dass die Generalsanierung der gesamten Andräkirche nach den maßgeblichen Richtlinien des Denkmalschutzes erfolgt ist.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Andräkirche mit ihrer bemerkenswerten zeitgenössischen Ausstattung auf den Gebieten der Malerei, Plastik, Glaskunst und Installation als interessantes Experiment auf dem Sektor zeitgenössischer sakraler Kunst anzusehen ist und auch in Zukunft noch zu vielen Diskussionen anregen wird.