TRUTH TRUST, 2000 - Peter Sandbichler
Eine gelbe Folie mit den Abmessungen 272 cm x 328 cm hing im Eingangsbereich der Kirche – gleichsam als Filter, eine Sehbehinderung und Sehhilfe zugleich, eine Raumteilung und Verunklärung. Lüge getarnt als Wahrheit – in den Ideologien todbringend quer durch die Jahrhunderte. Und zeitgeistig das Ausblenden von Wahrheit in einem individualistischen, egoistischen Sinn: Wahr ist, was mir gut tut und der Unterhaltung dient. Am 5. Oktober 2000 berichteten alle großen Fernsehstationen in Sondersendungen über die dramatische Volkserhebung in Belgrad und die Entmachtung des letzten Diktators auf europäischem Boden. Österreichs öffentlich-rechtliches Fernsehen jedoch brachte Taxi Orange. Jugendliche diskutierten in dieser Serie über ihr Kätzlein und darüber, wie sie es sauber kriegen. Die Wahrheit jedoch lässt sich auf Dauer nicht „unter-kriegen“. Wahrheit macht frei. Sie ist nicht zu besitzen, aber ebenso wenig ist „Wahrheit die Erfindung eines Lügners“ (Heinz von Foerster).
Über den Satz des philosophischen Konstruktivisten, der auf der Folie appliziert war, entfachte sich eine massive Auseinandersetzung zwischen dem Künstler und dem Kurator der Ausstellung. Peter Sandbichler wollte mit diesem Zitat die Relativität aller menschlichen Wahrheitsaussagen verdeutlichen. Pfarrer Hermann Glettler sah in dem Satz einen direkten Affront gegenüber der Aussage Jesu im Evangelium, die in diesem Kirchenraum verkündet wird und lautet: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben! Ebenso argumentierte er, dass der Aufstand der Entrechteten und Geschundenen quer durch die Menschheitsgeschichte nur im Namen der Wahrheit geschehen konnte. Nur der Glaube an die Wahrheit hat den Verfolgten die Widerstandskraft im Kampf gegen die Tyrannei menschlicher Lügenregimes gegeben. Der Streit wurde nach einem wochenlangen Verlauf, der auch medial verfolgt wurde (Tageszeitung „derStandard”) schließlich mit einer vorzeitigen Entfernung des Objektes aus dem Kirchenraum beendet. Die Variante der Überlappung der beiden Folienteile, sodass der diskussionswürdige Satz nicht wie ein dogmatischer Satz, sondern nur „gebrochen” lesbar ist, war für den Künstler keine überzeugende Alternative.