Pfarrer Hermann Glettler im Gespräch mit Alois Kölbl

Der Altar als Bild

Pfarrer Hermann Glettler im Gespräch mit Alois Kölbl

 

Alois Kölbl: Das Aussehen und die Gestaltung  von Altären hat sich im Laufe der Geschichte immer wieder gewandelt. In der Zeit seit dem II. Vatikanischen Konzil ist eine Entwicklung beobachtbar, dass Bilder nicht mehr über oder auf der Altarmensa positioniert werden, sondern der Altar selbst zum Bildort wird. Wie siehst du diese Entwicklung?

Hermann Glettler: Bei Altarraumgestaltungen in historischen Kirchräumen steht der Künstler meist vor der Herausforderung, dass die bestehende Gesamtausstattung sehr viel vorgibt. Innerhalb von einem schon bestehenden Bildort muss er etwas Neues schaffen. Der zu gestaltende neue Altar erscheint für den Betrachter und Mitfeiernden als ein relativ kleiner Bildausschnitt auf dem Gesamt-Screen des Altarraumes mit einem meist sehr dominanten Hochaltar im Hintergrund. Davor muss sich eine relativ kleine Skulptur behaupten und auch optisch bestehen. Eine vorgegebene Stresssituation für den beauftragten Künstler. Einige setzen auf eine radikale Reduktion in der skulpturalen Formensprache, also ästhetische Askese gegenüber einer opulenten Bildwand, andere auf eine Aufladung der Altarplastik als Bildort. Beides hat seine Berechtigung. Wichtig scheint mir, dass der Altar als autonome Skulptur, d.h. zunächst als rein künstlerisches Objekt funktioniert und sich nicht nur durch seine sakrale Bedeutung mit der dazugehörigen Symbolik behaupten kann.

Du hast fast ausschließlich Künstler für die Gestaltung von Altären eingeladen, die im autonomen Kunstbetrieb ohne Anknüpfungen an sakrale Traditionen reüssieren. Einer von ihnen ist Gustav Troger. Was waren deine Beweggründe dafür?

Ich habe Gustav Troger für die Gestaltung des Altares in der Pfarrkirche St. Andrä eingeladen, weil ich seine Werkphase der Verkleidung von Objekten mit Spiegelfragmenten kannte und diesen Gestaltungsprozess sehr spannend für eine Barockkirche fand. Im Jahr 2001 verspiegelte er für unsere Kirche eine alte barocke Mensa zu einem unglaublich faszinierenden Altar. Wie in einem riesigen Kristall sammeln und spiegeln sich der Raum und die Gemeinde in diesem Objekt. Troger hat in der Weiterentwicklung dieses Auftrags auch eine der markanten Säulen der Kirche verspiegelt, um den neuen Altar auch vertikal in den Gesamtraum einzubinden. 14 Jahre später folgte als letzte Verspiegelung noch ein Kreuz mit Corpus. In der Form einem barocken Kreuz nachgeschnitzt und dem barock-klassizistischen Hochaltar als Abschluss aufgesetzt. Wenn kein Licht im Raum ist, verschwinden die verspiegelten Objekte fast vollständig. Sobald aber natürliches oder künstliches Licht vorhanden ist, dann beginnen sie wie Kristalle zu strahlen. Die kristalline Haut des Altares bildetin gewisser Weise auch die Diversität unserer multikulturellen Pfarrgemeinde ab. Der Spiegel ist schon als Medium eine Bildgeschichte für sich: Er erzählt vom Traum und Wunschbild jedes Menschen nach Schönheit und Anerkennung. Er steht für die Sehnsucht nach einem gelingenden Leben. Er meint das Perfekte, das Ideal. Gleichzeitig aber erzählt der Spiegel auch von der Brüchigkeit unseres Lebens, vom Scheitern und von den Scherben. Die Fragilität des Glases spielt dabei eine wichtige Rolle. In dieser Spannung von idealisiertem Bild und dem Fragmentarischen wird Eucharistie gefeiert. Vertieft wird diese indirekte Bildgeschichte durch den Blick auf den Spiegelchristus. Die kristalline Haut hebt die Schwere des toten Corpus auf. Verwundung und Verklärung des Körpers fließen ineinander. Das ist insgesamt ein neuer, sehr komplexer Bildort. Allerdings funktioniert der Altar auch ohne diese spirituelle Bilddeutung. Er ist einfach da, ein faszinierendes Objekt, das mit Licht und Reflexionen zu tun hat.

Ein Altar muss einen Raum zentrieren, sammeln und bündeln. Nun löst sich der verspiegelte Altar aber in gewisser Weise auf. Ist das nicht auch problematisch?

Der Altar muss eine sehr starke skulpturale Behauptung sein, die Mitte des Raumes ausmachen. Gleichzeitig sollte er aber auch eine demütige Gestalt sein, sich weder als Kunstwerk noch als Objekt allzu sehr in den Vordergrund drängen. Diese Balance ist sehr wichtig! Negative Beispiele dafür wären für mich zu groß geratene monumentale Steinaltäre, die den Opferaspekt viel zu stark in den Vordergrund rücken. Abendmahl und Eucharistie sind doch wesentlich mehr als das! Das läuft für mich durchaus parallel zur Gestalt Christi, die der Altar symbolisiert: Auch er ist Fundament, Mitte und Höhepunkt von allem, aber zugleich auch einfach und demütig.

Der Künstler Gustav Troger hat in unserer Diözese eine ganze Reihe von Altären gestaltet. Welchen hältst du für besonders gelungen?

Es ist für mich ein Glücksfall, dass wir in unserer Diözese aus fast jeder Werkphase des Künstlers ein Altar-Objekt haben. Trogers Gestaltungen haben sich meist logisch und organisch aus seinem Werk heraus entwickelt. Kaum hat er auf mögliche Assoziationen des Auftragsortes reagiert. Das Patrozinium der Kirche oder bestimmte örtliche Gegebenheiten bildeten nicht den Ausgangspunkt seiner künstlerischen Entscheidungen. Mit dieser Vorgehensweise hat er seine Objekte geschützt. Sie wurden nicht mit Symbolik überfrachtet, wie dies leider bei vielen anderen Altargestaltungen geschehen ist. Fast eine Ausnahme im sakralen Oeuvre Trogers ist der Altar in meiner Heimatgemeinde Übelbach. Der Künstler hat hier sehr wohl auf das überwältigend schöne Altarbild, das die Hinrichtung des Hl. Laurentius auf einem glühenden Rost zeigt, reagiert. Der neue Altar ist eine Aufschichtung von Metallplatten, die nachträglich feuerpoliert wurden, um einen feurig schimmernden Effekt zu erhalten. Zwischen den Platten hat der Künstler abgelegte Kleider der Übelbacher Bevölkerung eingebracht. Die Kleider beziehen sich auf jene, die dem Märtyrer Laurentius gewaltsam vom Leib gerissen wurden. Sie sind wie abgelegte Hüllen, die das Innere frei gegeben haben: Am Gemälde von Hans Adam Weissenkircher ist es der hell leuchtende Leib des Märtyrers und am neuen zentralen Altar ist es der Corpus Christi, die helle konsekrierte Brotscheibe. Jedenfalls wieder ein Bildort, dessen Erzählung man „lesen“ kann. Und der Altar sammelt auch die Lebensgeschichten vieler Menschen vor, deren Kleider verwendet wurden – darunter Arbeitskleider, ein Brautkleid und die Kleider eines verstorbenen Kindes.

„Material“ ist für mich das Stichwort um über einen weiteren Altar zu sprechen, den du für die Dominikuskapelle, einen Gebetsraum neben der Andräkirche in Auftrag gegeben hast. Er stammt von Michael Kienzer. Was macht diese Altarskulptur für dich als Zelebranten spannend?

Michael Kienzer hat in wichtigen Werkphasen immer wieder ausgetestet, wie weit eine Skulptur in den Raum greifen und einen solchen besetzen kann. Schon seit einigen Jahren produziert er gewaltige Drahtgeflechte, die ganze Räume dominieren. Die Altarskulptur für die Dominikuskapelle entstand aus einem extrem langen Aluminiumband. Ohne dass das Metall gewärmt worden wäre, wurde in einer großen Werkshalle mit Hilfe eines Baggers das flache Material gefaltet. Das war auch ein sehr schöner, fast aktionistischer Herstellungsprozess! Entstanden ist dabei ein Kubus aus mehreren Lagen von Metall, der die Assoziation eines gefalteten Tuches nahelegt. Das ergibt eine sehr schöne Spannung zwischen der äußeren, strengen Blockform des aufgebauten Körpers und den weichen, sanften Rundungen in den wiederkehrenden Faltungen. Assoziationen zu Textil sind sehr naheliegend. Wir nehmen also ein großes Tuch wahr, das aufgrund einer inneren Stärke nicht in sich zusammenfällt. Vielleicht ist die Form des Altares eine Anspielung auf die zwei Tücher, die im Evangelium sehr wichtig sind: Die Windeln des Kindes von Betlehem und die Tücher im leeren Grab des Auferstanden. Die Tücher markieren das Ende und den Anfang der irdischen Existenz Jesu. Das finde ich sehr schön! Beide Tücher sind Beweismittel seiner tatsächlichen Menschlichkeit: „Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt ist…“, wird den Hirten gesagt. Nach der Auferstehung markieren die Tücher in der Grabkammer den geheimnisvollen Übergang der irdischen Seinsweise Jesu in den neuen, verklärten Leib. Am Tisch der Eucharistie wird durch diese Tücher somit der Fleisch gewordene Gottessohn als auch der Auferstandene in Erinnerung gerufen. Ein starker Bildort, nicht wahr? Durch die Strenge der Form kommt es jedoch zu keiner Überladung. Die geistliche Deutung stammt von mir und nicht von Michael Kienzer (lacht).

Die Altäre, von denen wir sprechen, sind zunächst künstlerische Objekte. Was macht ein autonomes künstlerisches Objekt zum Altar?

Zum Altar wird es durch die Funktion, die man diesem Objekt zutraut und zuspricht, und natürlich durch die Weihe. In unserer katholischen Tradition spielt die Weihe eine ganz zentrale Rolle: Ein einfacher Tisch oder eine komplexere Skulptur wird durch die Salbung und die Weihegebete des Bischofs zu einem heiligen Objekt, zu einer realen Repräsentation von Christus. Das ist eine kühne Behauptung, die von der Kirche getragen ist. Da der Altar Christus darstellt, wird er in der Liturgie auch vom Priester geküsst.

Ein enorm aufgeladenes Objekt, das gleichzeitig auch eine ganz praktische Funktion zu erfüllen hat …

Die Altarskulptur sollte autonom sein, aber hinweisend und offen für das Geschehen, das auf ihr stattfindet. Ein nur auf sich selbst referierendes Objekt wird das nicht leisten können. Bei den gelungenen Altären hat man nicht den Eindruck, dass sie in ihrer Autonomie durch die liturgische Handlung überfrachtet würden. Im Gegenteil erlebt und erfährt man, dass durch die Feier der Liturgie die Altarskulptur erst ganz vollendet wird. Der Altar als Bildort ist deshalb nur ein Teil des Bildes: Zum Gesamtbild des Altares gehört der liturgische Vollzug unbedingt dazu! Auch der sakrale Raum gestaltet dieses Bild mit. Das kann in historischen Räumen durchaus schwierig sein, weil hier sehr viele Bildmomente zum Tragen kommen, gegen die sich der Altar in seiner Bedeutung erst einmal behaupten muss.

Gibt es für dich Ausschließungsgründe, warum eine Skulptur nicht als Altar funktionieren könnte, also an der zentralen Funktion liturgischer Verwendung scheitert?

Problematisch ist es, wenn das Objekt dem Betrachter ein Zuviel an Bildgeschichte serviert, sodass die liturgische Handlung fast wie eine Störung des ohnehin scheinbar kompletten Bildes erscheint. Ich denke an einen Altar, der als ein riesiger Weinstock mit einem Geflecht von kupfernen Weinreben vollkommen übergestaltet wurde. Da hat die Liturgie keinen Platz. Die biblisch korrekte Assoziation von Weinstock und Altar wurde zu direkt und übertrieben umgesetzt. Die Liturgie ist dann nur mehr eine Draufgabe zu einer überbordenden Bildgeschichte.

Künstlerische Altargestaltungen haben immer wieder auch Anstoß erregt. Es ist auch vorgekommen, dass Altäre entfernt werden mussten. Wie sind die Reaktionen deiner Gemeinde auf die Altäre?

Unsere Pfarrgemeinde hat auf beide Altäre, sowohl auf den verspiegelten Altar von Troger als auch auf den aus Aluminium gefalteten Altar von Kienzer sehr positiv reagiert. Die souveräne künstlerische Form erzeugt bis heute die nötige Konzentration und die indirekt erzählten Geschichten erschließen so manche spirituelle Tiefenschicht. Tatsächlich mussten in unserer Diözese einige wenige Altäre auch wieder entfernt werden. Entweder waren die Dimensionierungen falsch oder sie waren in ihrer Gestaltungsidee zu extravagant und übertrieben. Für die feiernde Gemeinde blieben sie auch nach einer immer nötigen Gewöhnungsphase „unverständlich“, bzw. eine Störung für das liturgische Geschehen. Solche Korrekturen sollten auch in Zukunft möglich sein. Ohne falsche Wehleidigkeit sage ich dies als jemand, der sich konsequent für zeitgenössische Altarg