Wenn man den Zeitraum seit 2002, dem Jahr, in dem in St. Andrä durch Markus Wilfling das erste Kirchenfenster neu gestaltet wurde, Revue passieren lässt, dann haben u.a. folgende Künstlerinnen und Künstler neue Glasfenster für Kirchen realisiert: Gerhard Richter in Köln (2007), Neo Rauch in Naumburg (2007), Markus Lüpertz in Köln (2007) und Landsberg-Gütz (2012), Siegfried Anzinger in Weyer (2008), Shirazeh Houshiary in London (2008), Sigmar Polke in Zürich (2009), David Schnell in Leipzig (2009), Imi Knoebel in Reims (2011), Xenia Hausner in Gehrden (2012) und die Reihe wäre beliebig erweiterbar.
Es scheint, als würde die Kirche mittlerweile eine befruchtende Berei- cherung darin sehen, zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler mit Gestaltungen im Sinne offener Kunstwerke zu beauftragen. Die Künst- lerschaft aus der Welt der Galerien und Museen scheint andererseits in der spezifischen Auftragssituation, zwischen dem Sakralraum, dem religiösen Kontext, der eigenen Weltanschauung und der individuellen künstlerischen Formensprache eine vermittelnde Lösung zu entwi- ckeln, eine faszinierende Herausforderung zu finden. Dabei ist das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Funktion in keinem anderen (halb)öffentlichen Raum so ausgeprägt, sind die Interessen des Auf- traggebers und der Nutzer so klar als Rahmenbedingungen definiert, wie in einem Sakralraum.4 Kunst in der Kirche steht in einer langen Tradition, als Vermittlungsmedium christlicher Glaubensinhalte zu dienen. Doch welche (Glaubens)Inhalte werden in den 15 neu gestal- teten Fenstern in der Kirche St. Andrä vermittelt? Welche formalen Lösungen wurden für die spezifischen architektonischen Situationen gewählt?
Alle eingeladenen Künstlerinnen und Künstler standen der Heraus- forderung, ein Kirchenfenster zu gestalten, zunächst als unerfahrene Novizen gegenüber. Naturgemäß haben sie ihrer individuellen Werk- logik entsprechend unterschiedliche Ansätze gewählt, die sich nur schwer zusammenfassen oder kategorisieren lassen. Es sticht zunächst ins Auge, dass niemand von den Beauftragten für die Gestaltung der Glasfenster eine musivische Herangehensweise gewählt hat, die das
Glasbild aus seiner Tradition vom Glasmosaik her kommend versteht und mit traditioneller Verbleiung arbeitet. Es wurden im Gegenzug ausschließlich „bleifreie“ Techniken angewandt, die teils unter dem Schlagwort „Floatglasmalerei“5 zu subsummieren sind, aber in der überwiegenden Mehrzahl traditions- lose Ausnahmefälle darstellen. Inhaltlich gibt es in den Glasfenstern von St. Andrä keine Fortschreibung der Heilsgeschichte mit anderen Mitteln, sondern die Künstlerinnen und Künstler scheinen entweder bestimmte Aspekte daraus zu fokussieren und zu kommentieren, oder diese gänzlich zu ignorieren, um stattdessen gesellschaftliche und gemeinschaftliche Bezüge in den Vordergrund zu rücken.
Markus Wilfling war der erste aus dem Künstlerreigen, der eingeladen wurde, eines der blanken Glasfenster der barocken Kirche zu gestalten. Er hat sich für eine ebenso simple wie symbolische Geste entschieden und eine handelsübliche Glastür in die leere Glasfläche eingepasst. Die biblischen Verweise auf Jesus als Tür, Weg oder Licht bieten sich als Anknüpfungspunkte zur Deutung des Werkes an. Zugleich kommt einem auch das „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.“ (Offb. 3, 20) in den Sinn. Wo sonst, könnte man fragen, sollte die Tür demnach sein, wenn nicht auf halbem Weg zum Himmel.
Wilfling hat mit einer auf den ersten Blick absurden Geste eine markante Wegmarke für die übrigen 14 Glasfenstergestaltungen gesetzt, die zwischen 2009 und 2010 ausgeführt worden sind. Schon an seiner Arbeit wird eine Tendenz sichtbar, die eine Abkehr von der Malerei, ein Primat der Zeichen und Chiffren und eine Bildlösung aus der jeweiligen werkimmanenten Logik heraus erkennen lässt. Unter den 15 neu gestalteten Kirchenfenstern in St. Andrä finden sich nur zwei, die im ursprünglichen Sinne Farbe als Träger atmosphärischer Stimmung einsetzen und Relationen im Sinne einer tradier- ten Farbikonografie entwickeln: die Arbeiten von Gustav Troger und Flora Neuwirth. Troger hat sich für eine enigmatische Darstellung von Mensch-Tier-Hybriden vor grünem Hintergrund entschieden und Neuwirth hat, ausgehend von ihrem in den letzten Jahren entwickeltem System, dass auf den vier Grundfarben des Offset-Drucksystems basiert, ein Fenster mit einer magentafärbigen Farbfolie bedeckt. Magenta ist die Farbe außerhalb des Regenbogens, da sie keine Spektralfarbe ist und daher im natürlich sichtbaren Licht nicht vorkommt, und verweist als solche auf eine metaphysische Sphäre.