Kunst als Grenzüberschreitung
Die Auseinandersetzung mit Grenzen spielt eine zentrale Rolle im Werk des baskischen Künstlers Alberto Lomas. Durchlässig wird auch die Grenze zwischen autonomen künstlerischem und gesellschaftspolitischen Handeln. In seinem Projekt ‚Re(f)used‘ für die QL-Galerie, mit dem er in der Fastenzeit auch auf die Andräkirche reagieren wird, setzt er sich mit Flüchtlingsschicksalen und den Mechanismen, wie kapitalistische Systeme Fluchtproblematiken und -ursachen nicht lösen, sondern bewusst oder unbewusst aufrechterhalten, auseinander. Sprache und das geschriebene Wort, die auch in gut gemeinten Normen, Verträgen und Rechtsabhandlungen neue inhumane Barrieren schaffen, spielen dabei eine zentrale Rolle. Alois Kölbl hat mit ihm über sein Projekt gesprochen.
Das Thema dieses Heftes heißt „Searching Connection“. In deinem Werk lotest du auf ganz unterschiedliche Weise Grenzen aus. Worum geht es dir dabei als Künstler?
Das Thema der Grenze und der Grenzüberschreitung ist sehr wichtig in meinem Werk. Ich arbeite mit verschiedenen Medien und künstlerischen Mitteln, insofern ist mein Werk auch in sich grenzüber-schreitend. Sprache und die Visualisierung des geschriebenen Wortes spielen da eine große Rolle. Sprache kann verbinden, durch Sprechen lassen sich Grenzen überschreiten; Sprache kann aber auch trennen, wenn sie unverständlich ist. In meiner Arbeit „Impossible Translation“ zum Beispiel, die vor drei Jahren entstanden ist, habe ich auf große Leinwände die Worte „Identität“ und „Differenz“, die Grenzen verursachen und definieren, in verschiedenen Sprachen projiziert. Mit einem Sprühnebel wurde die Projektion verunklärt. So verschwammen auf den Wassertropfen die Grenzen zwischen Realität und digitaler Welt, die Tropfen waren durch die Projektion sozusagen gleichzeitig real und digital. Übersetzung bedeutet Übertragung in eine andere Sprache, so etwas wie den Wunsch, den anderen zu verstehen, den, der jenseits unserer Grenzen lebt, auch wenn er nebenan wohnt, den, der in einem anderen Kontext, in einer anderen Kultur, in einer anderen Realität aufgewachsen ist. Für die Übersetzung einer Sprache gibt es mehr oder weniger genaue Wörterbücher. Es geht aber nicht nur um die Übertragung von Wörtern, sondern um das, wofür sie stehen. Dafür müssen wir nach anderen Hilfsmitteln suchen.
In deiner Ausstellung „Re(f)used“ in der QL-Galerie und in der Andräkirche verknüpfst du die Auseinandersetzung mit Flucht und Migration mit der Klimakrise. Wie gehst du als Künstler an diese emotional aufgeladenen und viel diskutierten Themenfelder heran?
Die Gesamtidee dieses Projektes an zwei Orten ließe sich unter der Fragestellung „Words without Papers“ zusammenfassen. Die Klammern im Titel der Ausstellung verknüpfen gleichzeitig auch die beiden Themen der Ausstellung, die unmittelbar aufeinander bezogen sind: Klimawandel und Migration. In der Ausstellung werden juristische Texte mit den Rechten von Migrant:innen zu sehen sein, die wie in einer Kaskade von der Decke in den Raum des Lichthofes in der QL-Galerie fallen. Dazu kommen Texte vom "Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)", dem UN-Panel, das sich mit Problemen der Klimakrise beschäftigt. Die Materialien für die Ausstellung sind recycled, im Wortspiel des Ausstellungstitels soll anklingen, dass sich das Problem von Refugees nur unter Einbeziehung der Herausforderungen des Klimawandels und der damit in Zusammenhang stehenden ökologischen und wirtschaftlichen Krise sinnvoll behandeln lässt. In der Ausstellung sind einerseits Wörter, die das Zusammen-leben von Menschen und deren Grundrechte regeln, physisch präsent und zum anderen werden Schicksale von Menschen herein-geholt, die ohne Papiere, ohne offizielle Dokumente leben müssen. Wörter fallen von oben in den Raum des Lichthofes und an den Wänden hängen Fotos, die ich an der Grenze zwischen Polen und Russland gemacht habe. Gesetze, die das Zusammenleben der Menschen regeln und zu verbessern versuchen, sind gleichzeitig auch der Grund, warum Grenzen existieren. In anderen Fotos sehen wir an Stacheldraht erinnernde Textbänder, die zu Ballen gebündelt wie die vertrockneten Sträucher erscheinen, die der Wind durch die Prärie treibt, wie wir das aus Wildwestfilmszenen kennen, in vertrockneten Seen oder vom Feuer verwüsteten Landschaften liegen. Auf den Bändern sind Texte von Expertenkommissionen über den Klimawandel, die sie für die Vereinten Nationen verfassten. Im Raum hängen verwitterte Holzteile, die ich aus der Mur geborgen habe, in denen sich die Beschwernisse und Gefahren des Fluchtalltags bündeln. Diese Bild- und Textkonstellationen sollen Zusammenhänge zwischen Fluchtbewegungen und der Klimakrise aufzeigen. Ich verstehe das wie ein visuelles Gedicht. Am Beginn der Fastenzeit werden dann in einer Performance zunächst im multikulturellen Griesviertel die Wörter des Ausstellungstitels mit der physischen Präsenz von Migrant:innen und Asylsuchenden an markanten Punkten in den Stadtraum und im Anschluss daran in einer Performance im Rahmen der Aschermittwochsliturgie von mir mit Asche in den Kirchenraum geschrieben.
In deiner Kunst versuchst du die Grenze zwischen Kunst und Gesellschaft aufzulösen. Inwieweit kann Kunst einen Beitrag zur Lösung gesellschaftspolitischer Probleme leisten?
Für mich funktioniert Kunst als Mittel zur Sensibilisierung für Probleme. Das sind in meinem Fall Migration, Klimawandel, oder die Grenze zwischen realer und digitaler Welt. In all diesen Themen- und Handlungsfeldern sind wir mit einer Fülle oft divergierender Informationen konfrontiert, die in ver-schiedenen Medien auf uns einprasseln und uns überfordern. Die Kunst ermöglicht einen anderen Zugang, eine andere Sichtweise der Realität. Kunst eröffnet über die intellektuelle Betrachtung hinaus auch eine Erfahrungswelt. Darum ging es in meiner Arbeit „Impossible Translation“: ganz konkret erlebbar zu machen, wie sich die Wörter "Identität" und "Differenz" aufzulösen beginnen. Ich versuche also einen Raum zu öffnen, der jenseits der bloßen Übersetzung und Bedeutung von Wörtern steht. Auch wenn man die Worte nicht versteht, erahnt man, worum es geht.
Du stammst aus dem Baskenland und bist mit der Problemgeschichte deines Volkes aufgewachsen. Inwiefern spielt das auch in deiner Kunst eine Rolle?
Ein Werk meiner ersten Personale ist gerade in Bilbao in einer Ausstellung über baskische Kunst zu sehen. Mir ging es damals darum, wie das Leben in einer Situation von Gewalt die eigene Wahrnehmung verändert und mitbestimmt. Objektive Wahrnehmung und ein objektives Urteil sind in so einer Situation nicht mehr möglich. Mir ging es deswegen nicht darum Partei zu ergreifen, sondern zu zeigen, dass in einem Konflikt immer beide Seiten einen Anteil haben. Terrorismus hat es letztlich in diesem Konflikt von beiden Seiten gegeben. Genau diese Erfahrung half mir auch die Komplexität von Informationssystemen unterschiedlicher Art zu verstehen, die vordergründig Objektivität suggerieren, in Wahrheit die Wirklichkeit aber nicht neutral abbilden, sondern immer auch ein Bild von ihr konstruieren. Was man aus solchen Konflikten lernen kann, ist, dass man nicht einfach in Gute und Böse einteilen kann und wohl auch die Erkenntnis, dass es in jedem bewaffneten Konflikt immer nur Verlierer gibt.
In der Kirche St. Andrä wirst du mit deiner Kunst auf einen Sakralraum reagieren. Worin besteht für dich die Herausforderung, Kunst außerhalb eines Galerieraumes zu präsentieren? Hast du schon einmal in einer Kirche gearbeitet?
Es ist nicht das erste Mal, dass ich eine Installation in einem Kirchenraum realisiere, allerdings war es damals eine profanierte Kirche. Diesmal ist es ein Kirchenraum in Funktion. Ich kann also nur so auf den Raum reagieren, dass die liturgischen Feiern weiterhin möglich sind, auch wenn meine Intervention vielleicht in einem gewissen Sinn die Abläufe „stört“. Das kann aber nur in einem Dialog mit dem Raum geschehen und wird hoffentlich auch zu einem Dialog mit der Feiergemeinde führen. Es ist mir natürlich bewusst, dass in einem Kirchenraum auch Menschen mit einer zeitgenössischen Kunstintervention konfrontiert werden, die sie dort vielleicht gar nicht erwarten. Aber genau darin könnte auch der Mehrwert meiner Intervention zwischen Poesie, Spiritualität, Politik und physischer Erfahrung liegen und Gottesdienst- und Kirchenbe-sucher:innen dazu sensibilisieren, Probleme auch aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten.
In den Räumlichkeiten der QL-Galerie ist es in gewisser Weise ähnlich. Auch hier ist der Galerieraum nicht einfach ein White Cube, sondern das Foyer einer ehemaligen herrschaftlichen Villa und heute der Durchgang zu einem Studierendenheim. Auch diesen Raum werden Menschen betreten, die von der Kunst überrascht werden…
Ja, das finde ich sehr spannend. Es sollte ein produktives Überraschungsmoment sein, das herausfordert sich selbst ein Bild zu machen. Ich finde die Einbettung meiner Kunst in einen universitären Kontext sehr spannend.
Das klingt als würdest du eine Frage in den Raum schreiben wollen…
Kunst muss Fragen stellen und Fragen aufwerfen. In meiner Kunst geht es darum, die Komplexität von Machtverhältnissen in unserer Gesellschaft aufzuzeigen. Ich denke da an die spanische Philosophin Marta Peirano, die sich auf die Analyse des Zusammenhangs von Technologie und Macht spezialisiert hat. In ihrem Buch „Der Feind kennt das System“, das in kurzer Zeit bereits in sechster Auflage erschienen ist, beschreibt sie politische Manipulation im Internet. Sie versucht aufzudecken, wie die Funktions-weisen des Internets bewusst vor den Usern verschleiert werden, indem zum Beispiel ein Interface aus Metaphern entsteht, das unser Wissen ersetzt. Dadurch sollen die wahren Ziele verborgen werden: Datenextraktion und Massenmanipulation. Und das wird von politischen Systemen bewusst eingesetzt. Für Peirano ist der Feind jeder, der die Macht hat, das Richtige für die Bürger zu tun, es aber nur benutzt um die eigene Macht und die eigenen Einflussmöglichkeiten zu stärken. Eine Fragestellung, in der ich mich mit meiner Kunst wiederfinde.
Das Thema Flucht und Migration ist ein sehr emotional besetztes Thema, das unsere Gesellschaft zunehmend spaltet. Wenn sich ein zeitgenössischer Künstler mit ihnen beschäftigt, erwarten sich viele wahrscheinlich zunächst Provokation. Könnte Kunst auch einen Beitrag zur Deeskalation leisten?
In seinem Buch „Die Angst vor den anderen“ hat der Soziologe Zygmunt Bauman 2016 angesichts der zunehmenden Hysterie und Panikmache im Umgang mit der Flüchtlings-krise in der Europäischen Union die Ursachen des Misstrauens gegenüber den anderen als den Fremden analysiert und Wege zu beschreiben versucht, wie Gelassenheit und Empathie eine Möglichkeit sein könnten, dieser Herausforderung auf der Grundlage humanistischer Werte begegnen zu können. Durch meine Arbeit in Ländern wie Südkorea, im irakischen Kurdistan oder in Marokko habe ich gelernt, mit Menschen mit unter-schiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen zusammenzuarbeiten. Aus der konkreten Begegnung mit ganz unter-schiedlichen, mir fremden Menschen und Kulturen, habe ich viele wertvolle Erfahrungen sammeln können. Das ist natürlich immer reziprok. Solche Erfahrungen tragen dazu bei, andere nicht zu stigmatisieren. Es geht dabei immer um Lernprozesse. Kunst ermöglicht es, Grenzen zu durchbrechen und zu überwinden. Kunst kann auch helfen, Migration nicht nur als Problem zu sehen, sondern als Chance und Herausforderung.