Im Zentrum des Kunst-Aschermittwochs 2020 im KULTUM und in St. Andrä stehen private und globale Paradiese, ihr Scheitern und ihre Bedrohung. Nach der Ausstellungseröffnung ab 17 Uhr im KULTUM wird der Kunst-Aschermittwoch um 19 Uhr in die Aschermittwochsliturgie in St. Andrä weitergeführt. Dort werden sich zwischen den „Essbaren Geschichten“ der Grazer Stadtschreiberin Volha Hapeyeva, die Ninja Reichert lesen wird, Miniaturen für Orgel (Uraufführungen!) aus der Neuen Musik von Alexander Bauer, Matthias Leboucher, Adam McCartney, Veronika Mayer, Christoph Herndler einfügen. Dazu gibt es in den Bankreihen 40 „Foodporn“-Bilder von Erwin Lackner, die unseren Appetit auf Gott möglicherweise verstellen, während sein vor dem Altar liegendes gekreuztes Boot jede Vorstellung für ein Weiterkommen im Wasser aus den Angeln heben wird. Und eine mit Feuerwehrschläuchen umwickelte barocke Sessio von Franz Konrad wird uns sehr deutlich darauf hinweisen, dass wir die brandaktuellen Probleme dieser Welt nur gemeinsam löschen können.
Wie wir leben wollen, zeigt sich im kleinen und großen Beziehungsnetz sozialer Netzwerke vor allem in einem nie dagewesenen Mitteilungsbedürfnis: Eines ist das Teilen eben gekochter bzw. servierter Menüs auf Facebook und Instagram vor dem Verzehr. Die „FOOD-PORN“-Serie des steirischen Künstlers Erwin Lackner besetzt am Aschermittwoch 2020 die Kirche von Graz St. Andrä, ehe sie anschließend in die Ausstellung des Künstlers ins KULTUM zurückkehrt. Sie eröffnet damit auch eine Obertonreihe des Ausstellungsjahres 2020, das künstlerisch entwickelte Paradiesvorstellungen zeigt.
Der Anfang dieser Reihe markiert das private Paradies des Essens im geteilten Wohlgefühl der Facebook- und Instagram-UserInnen. Für den Aschermittwoch ist das freilich ein Widerspruch. Aber es ist nicht weniger Widerspruch angesichts einer Weltsituation, in der so viele derartige Menüs nicht teilen können, weil sie schlicht nichts zum Essen haben. Kunst, wie sie hier inszeniert wird, ist moralisch, ja. „Fastenzeit“ ist längst im säkularen Leben angekommen, in ihrer Sehnsucht nach Entschleunigung und nach Entschlackung. Es sind 40 Bilder, die – obwohl ursprünglich überhaupt nicht dafür geplant – zufällig auch die „40 Tage“, wie diese Zeit in ihrer ihr eigenen Zählung bis zum Osterfest in der christlich-liturgischen Zeitrechnung gezählt werden, überdecken. Zu Aschermittwoch werden diese „Foodporn-Bilder“ in den Bankreihen installiert, sehr nahe an den Gottesdienst Mitfeiernden. Sie verstellen diesen die Sicht auf den Altar. Die direkte Konfrontation mit diesen „Essensbildern“ ist wohl auch ein stellvertretender Nachdenkprozess, „was Fasten, aber auch Verantwortung für diese Welt bedeuten könnten“ (EL).
Das zeigt sich auch am anderen Objekt, das während dieser 40 Tage in der Kirche, die ja vor allem auch ein öffentlicher Ort ist, bleiben wird: Ein großes Kreuz in Form gekreuzter Boote. Das Objekt „Kreuzfahrt“, das zwei in Form eines griechischen Kreuzes gebildete Kanus im „rechten“ Winkel vereint, beansprucht den Raum der Grazer St. Andräkirche bis zum Karfreitag 2020. Sie greift die Ausweglosigkeit der Bewegung für ein Schiff auf, das seit jeher auch ein Symbol der Überfahrt ist. So aber heben sich die Kräfte für ein Fortgleiten auf; es gibt kein Weiterkommen. Zwar ist das schwimmende Objekt nach allen vier Himmelsrichtungen ausgeliefert, nur drückt es den Zustand des vollkommenen Stillstands aus. Die Vorstellung potentieller Bewegung ist auf den Nullzustand aufgehoben. „Die Interessenslagen, die sich in politischen bzw. ideologischen, religiösen Konzepten ausdrücken, verdichten sich in diesem Boot. So wird es zu einem signifikanten Bild eines Prozesses, der sich in seiner Komplexität und Vielschichtigkeit offenbar kaum prägnanter formulieren lässt als innerhalb der Kunst.“ (Günther Holler-Schuster).
Der harte Migrationskurs, den derzeit erfolgreiche politische Parteien in Europa den Wählern versprechen meinen zu müssen, ist hier in eine ansichtige Skulptur gegossen, als Zeichen in der Öffentlichkeit für jene, die eine derartige Politik fordern, und mit der so gewählte Parteien auf der anderen Seite derzeit siegreich sind: Es wird die Ausweglosigkeit derer sichtbar, die dieses Boot benutzen wollen. Es ist kein Zeichen des Heils, auch kein Identitäts-Zeichen fürs Abendland, im Gegenteil. Die Spannung zwischen einer übersättigten Wohlstandsgesellschaft mit starkem Mitteilungsbedürfnis und jenen, die solche Boote benutzen wollen, ist jedenfalls an diesem Aschermittwoch-Abend ins Unerträgliche gesteigert. Sie sind ja nur stellvertretend für die Vielen, die überhaupt nichts mitzuteilen haben.
In den Dialog mit dem Andreaskreuz in der Leid-Inszenierung am Hochaltar mischt sich im Kirchenraum die Transformation des Herrschaftsgestus des barocken Vorstehersitzes zu einem Zeichen solidarischen Miteinanders, wenn Feuerwehrschläuche subversiv hierarchische Ordnung unterwandern und ein sprechendes Zeichen dafür generieren, dass sich die brennenden Probleme dieser Welt nur gemeinsam und grenzüberschreitend lösen lassen. Der Künstler Franz Konrad verwebt mit dieser assoziationsreichen skulpturalen Intervention seine Wandzeichnung mit dem brennenden Vierungsturm von Notre Dame im hinteren Teil der Kirche mit dem Zentrum des liturgischen Feierraumes. Während die Zeichnung der brennenden Kathedrale von Paris und ihres einstürzenden Vierungsturmes, der in den Flammen seinen schaurig-schönen, ultimativen Auftritt hatte und ein Jahrhundertbild generierte, das sich ins kollektive Gedächtnis einbrannte, die Fragilität abendländischer Kultur in Erinnerung ruft, gemahnt die durch Löschschläuche verbundene Bestuhlung an den oftmals verschütteten Wesenskern.
Die mittelalterliche Gestalt der ‚Frau Welt‘ an gotischen Kirchenportalen mit ihrer verführerischen Vorder- und ihrer von Ungeziefer zerfressenen und von Kröten bevölkerten Rückseite stand schließlich Pate für das von ihm für die Kunst-Kirche St. Andrä bearbeitete Messkleid, das im Stiegenaufgang des KULTUMs in der Fastenzeit 2020 zu sehen ist. Es zeigt keine religiösen Motive, sondern appliziert den künstlerischen Ruf nach Weltverantwortung auf ein Priesterkleid. Die spielenden Kinder der Vorderseite weisen den Blick in die Zukunft, Kreuzfahrtsschiff und auf den letzten Schollen treibende Eisbären der Rückseite werden zu Inkunabeln vordergründiger, individueller Paradiese auf Kosten anderer.
Johannes Rauchenberger/Alois Kölbl
Gegen den Egoismus in unserer Welt
Alois Kölbl im Gespräch mit dem Künstler Erwin Lackner
Zufallsfunde aus dem digitalen Netz haben den weststeirischen Künstler Erwin Lackner zu einer Werkserie angeregt, die er am Beginn der Fastenzeit in der Grazer Kirche St. Andrä zeigen wird. Alois Kölbl hat mit ihm über den Hintergrund dieser Arbeit, das Kreuz als künstlerische Herausforderung und den Mehrwert der Präsentation in einem Sakralraum gesprochen.
Für eine Installation im Rahmen des Kunst-Aschermittwoch in der Kirche St.Andrä setzt du dich als Künstler mit einem Phänomen unserer digitalen Welt auseinander. Worum geht es?
Wenn ich Kunst mache, dann muss es für mich immer einen sozialen oder gesellschaftlichen Hintergrund geben. Ich beziehe mich immer auf etwas, Kunst ohne Bezug zum realen Leben kann ich nicht machen. In diesem Fall – den von mir so genannten ‚Foodporn‘-Bildern – beziehe ich mich auf das Phänomen, dass im Internet Fotos von Speisen gepostet werden. Meine Vorlage sind da nicht die professionell inszenierten Fotos von Restaurants oder Food-Designern für Speisen- oder Kochbücher, sondern die meist sehr banalen Fotos, die auf Facebook oder anderen Foren von verschiedensten Personen gepostet werden, die sich damit auch selbst inszenieren. Da liegt für mich ja schon eine gewisse Perversion darin, dass in unserer Überfluss-Gesellschaft oft meist aus Langeweile Essens-Fotos ins Internet gestellt werden, wo wir doch wissen, dass es weltweit viele Menschen gibt, die nur mit einer Handvoll Reis durch den Tag kommen müssen. Ich nehme also ganz real im Internet gepostete Fotos als Vorlage und setze sie in Malerei um.
Du nimmst also das Phänomen aufs Korn, dass Menschen nicht nur ihre Urlaube und sonstige Aktivitäten im Internet posten, sondern eben auch Essen…
Ja, da scheint auch so etwas wie Selbstbestätigung eine Rolle zu spielen, vielleicht auch einfach Langeweile. Das kann und will ich nicht verstehen. Das beschäftigt mich als Künstler. Erst durch Digitalisierung werden auch solche Phänomene als Massenphänomene möglich. Da entsteht auch so etwas wie ein Mitteilungswahn. Und das ist umso schlimmer, weil doch ein großer Teil der Menschheit eben diesbezüglich nichts mitzuteilen hat, weil es an den Grundnahrungsmitteln mangelt.
Du setzt die Fotos aus dem Internet in klassische Öl-auf-Leinwand-Malerei um. Seit dem 17. Jahrhundert aber auch noch in der klassischen Moderne gibt es die Stilllebenmalerei, in der nicht nur Gegenstände, sondern auch verschiedenste Speisen, meist mit Symbolgehalten versehen, kunstvoll inszeniert werden. Beziehst du dich in deiner Arbeit auch darauf?
Ja, indem ich mich davon absetze. Ich inszeniere in meinen Bildern ja überhaupt nichts und möchte so auf die Banalität und eben auch Perversion dieser Internet-Bilder aufmerksam machen, indem ich sie ohne Veränderung in klassische Ölmalerei transformiere. Darin steckt für mich die künstlerische Aussage, auf die es mir ankommt.
Du wirst diese Arbeiten in einem Kirchenraum zeigen. Was ist für dich die Herausforderung dabei?
Ursprünglich war beim Entstehen der Arbeit die Verbindung mit einer religiösen Dimension überhaupt kein Thema. Dass vierzig Bilder entstanden sind, hatte eigentlich rein formale Gründe. Für mich hatten die jeweils acht Bilder in fünf Reihen die Möglichkeit der Anordnung im Goldenen Schnitt. Ein Journalist hat das dann bei einer Präsentation sofort als Fastentuch gesehen und auf den Konnex der vierzig Essens-Bilder mit den vierzig Tagen der vorösterlichen Fastenzeit aufmerksam gemacht. Das fand ich spannend und bin froh, dies nun in einem Kirchenraum weiterentwickeln zu können. Sicher erfährt auch die Arbeit dadurch eine spannende neue Aufladung. Die Bilder werden aber nicht gemeinsam vor dem Altar präsentiert, wie bei einem klassischen Fastentuch, sondern direkt in den Bankreihen positioniert. Sie kommen den beim Gottesdienst Mitfeiernden also sehr nahe und verstellen ihnen die Sicht auf den Altar. Ich hoffe, dass durch die direkte Konfrontation mit diesen Essensbildern ein Nachdenkprozess angeregt wird, dass Fasten aber auch Verantwortung für diese Welt bedeuten könnte.
Während der Fastenzeit wird in der Andräkirche auch eine andere Arbeit von dir zu sehen sein: zwei Boote, die sich zu einem Kreuz verbinden. Was ist der Hintergrund dieser Arbeit?
Auch diese Arbeit hat einen gesellschaftspolitischen Hintergrund. Mich haben die Bilder der Menschen auf den Flüchtlingsbooten im Mittelmeer zutiefst erschüttert. Ich habe auch keine Lösung für dieses Problem, aber dass man Menschen bewusst ertrinken lässt, ist einfach schrecklich! Das kann niemanden unberührt lassen. Dieses Dilemma wollte ich ins Bild bringen. So habe ich zwei Kanus zu einer Kreuzform zusammengefügt. Das Kanu ist für mich eine archaische Urform wie der Einbaum. Das Kreuz ist natürlich eine religiös konnotierte Form, gleichzeitig weist es aber in alle vier Himmelsrichtungen und diese beiden zusammengefügten Kanus visualisieren einfach die Unmöglichkeit irgendwo anzukommen, man kann sich höchstens im Kreis bewegen. Ich habe fast ein halbes Jahr gebraucht bis aus einer ersten Idee schließlich dieses Werk geworden ist und bin nun wirklich sehr froh, dass ich es in einer Kirche zeigen kann. In St. Andrä entsteht eine sehr spannende Kommunikation zwischen der Skulptur und dem Andreaskreuz auf dem Hochaltarbild mit dem Martyrium des Apostels. Die Skulptur, die während der Fastenzeit auch teilweise den Altar verdeckt, gewinnt dadurch eine neue, für mich sehr spannende Dimension.
Parallel zu den Arbeiten im Kirchenraum wirst du in der Kultum-Galerie einen neu entstandenen, grafischen Kreuzweg-Zyklus zeigen, der sich ganz auf die abstrahierte Form des Kreuzes konzentriert, das durch Drehung der Bilderreihe Rhythmus und Dynamik verleiht. Was macht für dich als Künstler dieses christliche Symbol spannend?
Das Kreuz ist für mich über die christliche Symbolik hinaus eine archaische Ur-Form. Ich nenne den Zyklus wie auch die Skulptur in der Kirche ‚Kreuzfahrt‘, das heißt, auch hier geht es mir um den Hinweis auf unsere Konsum- und Überflussgesellschaft, die auf Kosten anderer, auch künftiger Generationen lebt. Ich verstehe meine Kunst als Denkanstoß gegen den Egoismus in unserer Welt. Mir geht es um Menschlichkeit und um die Würde jedes Menschen.
„Es gibt doch so viele Möglichkeiten, etwas zu tun!“
Franz Konrad im Gespräch mit Alois Kölbl
Mit seiner Ausstellung in der QL-Galerie reagiert der Künstler Franz Konrad direkt auf das Quartier Leech-Jahresthema „Heiße Zeit“. Sie wird den Galerieraum in der Leechgasse mit der Kunst-Kirche St. Andrä verbinden, wo Konrad die historischen Kreuzweg-Bilder mit Imaginationen aus dem Heute weiterschreibt. In seinem letzten Projekt „Colombia Paper“ befasste er sich mit den postkolonialen Verwerfungen in Kolumbien, mit Bürgerkrieg, Ausbeutung ehedem paradiesischer Natur und Drogenkriminalität.
Du beschäftigst dich immer wieder mit einem Themenfeld, das in der medialen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit in den letzten Monaten sehr ins Zentrum gerückt ist: Ökologie und Umweltzerstörung. Kann Kunst etwas verändern?
Ökologie ist für mich so etwas wie ein künstlerisches Urthema. Das war auch der Grund, warum ich aus der Architektur ausgestiegen bin und mich ganz der Kunst zugewandt habe. Für mich ist es das Zukunftsthema schlechthin, wenn wir damit nicht zurande kommen, sind wir Menschen dem Untergang geweiht! Deswegen kommt dieses Thema in meinen Bildern fast immer in irgendeiner Weise vor. Und: Ich bin mir sicher, dass Kunst etwas verändern kann! Meine Bilder zielen nicht auf unmittelbare Auswirkungen im gesellschaftspolitischen Handeln, aber darauf, dass eine Gruppe von Menschen nachdenklich wird. Seit Greta Thunberg ist das Thema Klimawandel zwar ständig präsent, aber konkrete Aufforderungen zum Handeln an konkrete Personengruppen bleiben völlig aus. Jede kleinste CO2-Selbstbeschränkungsidee wird sofort von Wirtschaftsbossen als nicht machbar abgeschmettert und keiner traut sich aufzustehen und diesen Bossen mal vorzuschlagen, ein Vorbild zu sein, und zwar global! Ich wollte immer in einem Land der Vorbilder leben, in einem Land, das etwas als erstes umsetzt, als erstes ins Ziel kommt ... nicht nur beim Schifahren.
Für die Ausstellung „Tschick und Politik“ in der Kirche St. Andrä in Graz wurdest du vor drei Jahren vom damaligen Pfarrer Hermann Glettler zur Gestaltung eines Wandbildes eingeladen und hast brisante Themen in den Sakralraum gebracht …
Ich habe mich damals sehr stark mit politischen Themen auseinandergesetzt. Es ist ein Wandbild in der Kirche entstanden mit dem Titel „Geschichtswäsche“. Mir ging es darum, das Weltgeschehen in die Kirche zu bringen, das reale Leben sozusagen mit den Kreuzwegbildern an der Wand zu verknüpfen. Wenn ich diese Szenen der Kreuzigung Jesu sehe, denke ich mir, es gibt das Kreuz immer noch überall, bloß die Form hat sich verändert.
Was waren die Themen?
Leid, Erniedrigung, Selbstaufgabe waren die Themen, die ich in der aktuellen Weltpolitik gesucht und gefunden habe. Die habe ich dann zwischen die Kreuzwegstationen gezeichnet. Grausamkeiten auf dem afrikanischen Kontinent, wie etwa die Ereignisse in Ruanda oder in Südamerika, in Nicaragua oder in Kolumbien, aber auch Flüchtlinge, die eine Kirche besetzen, ein damals in Österreich aktuelles Thema. Aber ich bilde nicht einfach nur das Weltgeschehen ab, die Szenen bleiben offen, sollen zum Nachdenken anregen. Da gibt es etwa ein Flugzeug, das Schachteln mit Kreuzen abwirft, man denkt zunächst an Hilfsgüter, es könnten aber auch Särge sein, oder eine Szene, bei der man an Devotionalienhandel denken könnte. Es handelt sich aber um Drogenverkauf. Mir ist das Changieren von Bedeutungsebenen wichtig und die Offenheit für verschiedene Interpretationen. Und es ging mir auch um so etwas wie einen Perspektivenwechsel, eine Blickumkehr: Ich wollte nicht den Blick auf das Kreuz, sondern letzteren vom Kreuz her auf das Umfeld lenken, auf das, was in den nach einem bestimmten Schema gestalteten Kreuzwegbildern nicht dargestellt ist.
Die Kreuzwegbilder in St. Andrä folgen dem Bildschema, das Joseph Führich in der Mitte des 19. Jahrhunderts geschaffen hat. Weil von diesem Kreuzweg auch Kupferstiche angefertigt wurden, fand er sehr große Verbreitung und existiert in unzähligen, mehr oder weniger freien Kopien. Er ist sozusagen Teil eines kollektiven katholischen Bildgedächtnisses. Dem fügst du nun eine sehr subjektive Bildwelt hinzu …
Die stereotype Bildsprache des Kreuzweges hatte zunächst für mich als Künstler etwas Lähmendes. Ich hatte ja damit begonnen, bei konkreten Bildelementen des Kreuzweges anzusetzen, bei den Farben und verschiedenen Bildelementen und diese in meiner Bildsprache weiterzuentwickeln. Das habe ich dann aber sehr rasch verworfen und beim Thema und nicht bei der formalen Gestaltung angesetzt. Trotzdem ist mediale Vermittlung ein ganz wesentlicher Teil meiner Bilder. Es geht mir um die Rolle, die Medien für die Wahrnehmung und Interpretation der Welt spielen. Da sieht man etwa den „Embedded Journalist“, der im Krieg mit seiner Kamera dranbleibt und die Betrachter/innen möglichst nahe an das grausame Geschehen heranführt. Wie ja auch der Kreuzweg Leid inszeniert und Leid, Schmerz und Gewalt ganz nahe kommen lässt. Das kombiniere ich mit tagespolitisch aktuellen Themen wie etwa den Flüchtlingen in der Kirche, oder zufällig aufgeschnappten Zeitungsmeldungen wie etwa die einer Airbnb-Übernachtungsmöglichkeit in einer Kirche: für mich eine Grenzüberschreitung, die die Frage aufwirft, wie weit man Kirche kommerzialisieren kann. Doch selbst hier überlasse ich die Interpretation den Betrachter/innen.
Man sieht da auch eine Darstellung des Papstes …
Das bezieht sich auf ein Treffen von Papst Franziskus mit dem iranischen Präsidenten Rohani. Das war für mich eine große Friedensgeste, dieser religionsübergreifende Versuch der Kommunikation. Ich habe auch die bei dem Treffen erfolgte Verhüllung nackter Statuen in den vatikanischen Museen dargestellt. Das war damals sehr umstritten, aber echter Dialog braucht eben Respekt.
Die Arbeit ist im Rahmen des Ausstellungsprojektes unvollendet geblieben. Du bist gerade dabei die Bilderserie weiterzuentwickeln. Was ist zu erwarten?
Ich werde noch weitere Motive hinzufügen, etwa den Brand von Notre Dame, das ist für mich ein absolut epochales Ereignis, auch bezüglich der Bildsprache.
Der Dachreiter über der Vierung von Notre Dame, der ja erst im 19. Jahrhundert entstanden ist, hatte beim Brand so etwas wie seinen ultimativen, großen Auftritt: ein Jahrhundertbild. Was ist für dich als Künstler das Herausfordernde an diesem Bild, das sich über die Medien vermittelt buchstäblich in tausende Köpfe eingebrannt hat?
Das war ein unglaublich starkes Bild, die Flammen und das Fallen des Turmes. Das Bild einer Katastrophe, das eine ganz eigenartige Schönheit hatte und zugleich natürlich ein Katastrophenbild war, das einen Nachdenkprozess in Gang gesetzt hat. Das fasziniert mich, ich hoffe, es gut in meine Bildwelt übersetzen zu können. Spannend finde ich aber noch etwas anderes: Sofort nach dem Brand wurde eine Spendenaktion gestartet, reiche Menschen und Organisationen meldeten sich mit Millionenspenden. Es ging da sicherlich auch um Medienpräsenz und mediale Inszenierung, sonst hätte man ebenso anonym spenden können. Das interessiert mich als Künstler: Wie sehr kann oder darf man eine Katastrophe nutzen, um sich selber in den Vordergrund zu spielen? Deswegen möchte ich aus der Wolke der brennenden Notre Dame auch verschiedene Markenzeichen schweben lassen.
Die Ausstellung, an der du gerade arbeitest, hat mit den Bildern der brennenden Kirche zu tun. Du möchtest dafür auch den Priestersitz im Presbyterium der Kirche künstlerisch bearbeiten. Was hast du vor?
Ich werde den historischen, barocken Vorstehersitz mit einem Feuerwehrschlauch tapezieren, so dass sich die einzelnen Stühle mit der für die Feuerwehrschläuche typischen Storz-Kupplung miteinander verbinden lassen. So kann eine Art „Löschkette“ entstehen. In der Gruppe kann man viele Dinge besser machen als alleine. Nicht nur bei einem Kirchenbrand, sondern überall, wo es brennt bzw. es große Probleme zu lösen gilt, kann man nur gemeinsam vorgehen. Auch und gerade bei allen Umweltschutzbemühungen geht es genau darum. Mir scheint, als wäre es an der Zeit, unbequeme Fakten etwas genauer zu besprechen. Fakten und Zahlen und weniger allgemeingültiges Geschreibe, das fehlt mir in den Tageszeitungen. Nicht nur der Klimawandel, sondern auch die soziale Frage unserer globalisierten Produktionsabläufe. Wir haben unsere Sklavinnen und Sklaven weit weg geschafft, sodass sie hier nicht sichtbar sind. Stellen wir uns vor, es verblieben nur die Waren in den Auslagen der Geschäfte, die wir hier in Österreich herstellen. Wir würden in gähnend leere Schaufenster blicken!
Aber man hört immer wieder, dass all diese Bemühungen zu spät kommen.
Nein, es ist überhaupt nicht zu spät. Ich freue mich sehr über die derzeitige Bewegung der „Fridays for Future“. Und ich ärgere mich, wenn gesagt wird, dass man da nichts machen könnte. Es gibt doch so viele Möglichkeiten etwas zu tun. Es bedarf auch einer neuen Bescheidenheit in unserer Generation. Mein künstlerischer Beitrag dazu ist es, dieses Narrativ, das mich nicht loslässt, immer wieder mit meinen Bildern einzubringen.