Audio-Kassetten sind mit Kabelbindern zu einem flächigen Objekt verknüpft, das in der Kirche St. Andrä vor dem barocken Hochaltar als Fastentuch installiert wurde.
Dicht an dicht formieren sich die Tonbänder zu einem imaginären „Sound-Teppich“ aus akustischen Spuren menschlicher Existenz: Sprachen, Musik, Texte präsentieren sich dem Betrachter, auf der visuellen Ebene fixiert, als ein von bunter Vielfalt geprägtes Bild. Im kontrastreichen Neben- und Miteinander kultureller Ausdrucksformen erübrigen sich Grenzziehungen und Hierarchien, wird „das Andere“ als unverzichtbarer Teil eines Ganzen sichtbar. Dass in diesem vielstimmi- gen „Chor“ aber auch Dissonanzen auftreten würden, ist anzunehmen; die Bereitschaft des Einzelnen (trotzdem) zuzuhören scheint genauso zeichenhaft gefordert wie die verbindende Kraft des Glaubens.
Aus einem anderen Blickwinkel zeigt sich Gumholds Fastentuch, ver- stärkt durch den beinahe schon nostalgischen Charakter des Mediums Tonbandkassette, als Archiv, als Speicher kollektiver und subjektiver Erinnerung. Einige Fragestellungen drängen sich auf: Was ist wirklich sichtbar und hörbar? Welche Bilder, visuellen Eindrücke und welche Musik, welche Worte und wie viel Gesprochenes tragen wir in uns? Fragen über die inneren Archive, deren Ordnung und deren bewusste Verfügbarkeit stellen sich. Die Kassetten stammen großteils aus dem Fundus der Caritas, wo sie nach Wohnungsauflösungen gesammelt worden waren. Einige tragen noch im wörtlichen Sinne die Handschrift ihrer ehemaligen, anonymen Besitzer/innen und nehmen so die Rolle von sehr persönlichen „Relikten“ ein, die – nicht nur im sakralen Rahmen – Fragen nach dem Schicksal, dem Leben und dem Tod in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken können.
Als „stillgelegte“ Geräuschskulptur entspricht die Installation gleich- nishaft dem Auftrag der Fastenzeit, inne zu halten und den Alltagslärm auszublenden, um Raum für Reflexion und Meditation zu schaffen. Folgerichtig hat sich Gumhold bewusst dagegen entschieden, die Her- stellung des Fastentuchs zu delegieren. Der sich in einer bestimmten Zeit vollziehende Prozess, das Tun, das Durchhalten – bei über 1.500 Kassetten auf neun Quadratmetern eine nachvollziehbare Herausfor- derung – schien ihm als Teil des künstlerischen Konzepts angesichts der Aufgabenstellung unabdingbar.