up and down, 2006 - Markus Wilfling
Besucher/innen der Kirche St. Andrä in Graz können sich derzeit über die „Neuauflage“ einer temporären Rauminstallation von Markus Wilfling freuen, die als eine der spektakulärsten und pointiertesten künstlerischen Interventionen, die in einem Sakralraum denk- und realisierbar sind, gelten kann. Ein „Miami-blaues“ Sprungbrett wie aus dem Freibad ragt als Sprungbrett für einen Raum von der Orgelempore in das Hauptschiff der Kirche. Klarer kann ein mit zeitgemäßen Mitteln erzeugtes Bild für die befreiende Kraft des Glaubens kaum sein: Sich loslösen, in Gott vertrauend den Absprung wagen, die Erdanziehungskraft überwinden, leicht werden, sich fallen lassen, eintauchen.
Zur gleichen Zeit, als diese Arbeit das erste Mal in St. Andrä zu sehen war (2002), hatte Wilfling im Langhaus ein Glasfenster permanent installiert. Eine handelsübliche Glastür wurde in der absurden Höhe von zwanzig Metern in eine farblose Fensterfläche eingebaut. Ungefiltert dringen das natürliche Licht, die Zeichen der Jahreszeit und des Wetters in den Kirchenraum ein. Die Trennung von innen und außen, von sakraler und profaner Zone, scheint aufgehoben – der „Nonsens als Sehhilfe stellt den heiligen Raum als Verschlusssache in Frage“ (H. Glettler). Als Zeichen der Hoffnung interpretiert, kann die „Tür am Himmel“ auch als Metapher für die elementare Funktion des Glaubens im Rahmen individueller Lebensbewältigung gesehen werden.
Von diesem Punkt aus lässt sich ein gedanklicher Bogen zu den erstmals im religiösen Kontext gezeigten, im Altarraum installierten Arbeiten spannen.
Dem barocken Hochaltar zugewandt, versinken vier aneinander gereihte Stühle in abfallender Linie scheinbar im Boden, der so im übertragenen Sinne ins Schwanken gerät. Spiritualität als Möglichkeit, im „up and down“ des Lebens (wieder) Halt zu finden, wenn die Tragfähigkeit dessen, was man sich zur oberflächenorientierten Grundlage seines Daseins gemacht hat, plötzlich versagt, bietet sich als eine der möglichen Assoziationen im kirchlichen Rahmen an. Der Kontrast zur stabilen Präsenz des Priestersitzes in unmittelbarer Nachbarschaft mag diese Blickrichtung unterstreichen.
Als Gegenentwurf zur imaginären Abwärtsbewegung der Stühle, zu ihrem einsetzenden „Verschwinden“ und zur potentiellen Gefahr des „Hinuntergezogenwerdens“ zeigt sich die zweite künstlerische Intervention im Chorraum.
Über dem Altar ist ein Karussell-Sessel so installiert, als würde ihn eine unsichtbare Kraft mitten in seiner Schwindel erregenden Kreisbewegung festhalten. In diesem Standbild gespeichert, verstärkt durch den Dialog mit dem Sprungbrett gegenüber, ist die Erfahrung des Auslotens und Überschreitens physischer Grenzen, das „Ausklinken“ aus dem Einflussbereich der Gravitation und das dabei auftretende Hochgefühl.
Die Verbildlichung des Übergangs in einen anderen, weiteren Seinszustand ist hier mit einem unübersehbaren lebensbejahenden Aspekt verknüpft: Positiv besetzte, mit unbeschwerter, kindlicher Freude konnotierte Bilder können abgerufen werden.
Auf den ersten Blick, angesichts des radikalen Gegensatzes zur historischen Umgebung, vielleicht überraschend, aber vom Künstler durchaus mitgedacht, ist der Brückenschlag zu den vielfältigen Versuchen aus der Zeit des Barock, die Grenze zwischen Himmel und Erde im Kirchenraum mit künstlerischen Mitteln aufzuheben.
Markus Wilfling schleust aus Alltagszusammenhängen vertraute Objekte als „irritierende Fremdkörper“ in den Sakralraum ein. An den Bruchlinien des Kontrasts öffnet sich ein Raum für Reflexionen und die grundlegende Verbindung von Kirche und Welt wird einmal mehr evident.
Birgit Kulterer, 2006