Bedenke Mensch, dass du Staub bist!
Sieben jahre lang hat die montenegrinische Künstlerin Ivana Radovanović an einem Zyklus überlebensgroßer Skulpturen aus Jute und Stroh gearbeitet, um ihn dann schließlich in einer Aufsehen erregenden Aktion zu verbrennen. In Video-Sequenzen sind die Entstehung und die Verbrennung der Skulpturen dokumentiert. Reste der Skulpturen hat die Künstlerin in einem Glaskubus – einer Art Urne – gesammelt. Aus diesem künstlerischen Transformationsprozess entstand ein neues, multimediales Werk, das sie als Vertreterin ihres Landes bei der 57. Kunstbiennale von Venedig „VIVA ARTE VIVA“ 2017 präsentierte. Dem aus einem Transformationsprozess entstandenen Werk gab sie den Titel „The Hollow Men“ („Die hohlen Männer“), der die Überschrift eines epochalen Gedichtes des anglo-amerikanischen Schriftstellers T.S. Eliot zitiert. Der Dichter hatte es nach den Schrecknissen des Ersten Weltkrieges 1925 veröffentlicht um den seelischen Zustand Europas nach einem Krieg in zuvor nicht gekannten Dimensionen zu beschreiben. Ivana Radovanović geht es um Transformationsprozesse, ihre monumentalen Skulpturen bestehen meist aus nicht mehr gebrauchten Materialien, aus denen sie etwas Neues schafft. Vergänglichkeit und die tastende Suche nach innerem Frieden und einem spirituellen Fundament angesichts einer zunehmend aus den Fugen geratenden Welt sind die Themen ihrer Kunst. Im Rahmen des Aschermittwochsgottesdienstes 2019 war ihr Zyklus in der Fastenzeit erstmals in einem Kirchenraum zu sehen, Alois Kölbl hat mit der Künstlerin über ihre Arbeit gesprochen.
Alois Kölbl: Dein Projekt „The Hollow Men“ ist multimedial angelegt und bezieht sich auf ein Gedicht von T.S. Eliot. Wie hast du Eliots Gedicht als bildende Künstlerin entdeckt?
Ivana Radovanović: Es wäre nicht richtig zu sagen, dass ich Eliots Gedicht entdeckt hätte. Es mag ein wenig eigenartig klingen, aber es wäre passender zu sagen: Eliots Gedicht hat den Weg zu mir gefunden. Während der Arbeiten an den Skulpturen las ich Eliots „The Hollow Men“, und ich spürte sofort den Zusammenhang zwischen meinen skulpturalen Formen und seinen Verszeilen.
Das Projekt war schon in unterschiedlichen Kontexten und Räumlichkeiten zu sehen, unter anderem 2017 im Pavillon von Montenegro auf der Biennale von Venedig. Wie wirst du es für den sehr speziellen Kontext des Kirchenraumes von St. Andrä adaptieren?
Die Idee und die Arbeit für das Projekt „The Hollow Men“ entstanden bereits im Jahr 2011. Die Möglichkeit, meine Arbeit bei der Biennale von Venedig zeigen zu können, war natürlich eine große Ehre für mich, ich sah es aber auch als große Verantwortung, denn es war das allererste Mal, dass mein Heimatland an der wichtigen Kunst-Biennale teilnahm. Im vergangenen Jahr konnte ich dann am Cultural City Network-Programm in Graz teilnehmen. Während meines einmonatigen Aufenthaltes hatte ich viel Zeit für Recherche-Arbeiten und da entstand auch die Idee, das Projekt für einen Kirchenraum weiterzuentwickeln. Sie besteht nun aus dem Video “The Hollow Men 1925 - 2017”, das während der Aschermittwochsliturgie gezeigt werden wird, einer Stoffbahn mit Eliots Gedicht in voller Länge, das vom Hochaltar abgehängt wird, weiteren Videos in einzelnen Monitoren, die die Entstehung und die Zerstörung der Skulpturen zeigen und einem vor dem Altar abgehängten Glasobjekt, in dem sich wie in einer Urne Reste der verbrannten Skulpturen befinden. Neben den Monitoren in einem der Kirchenfenster werden drei zentrale Strophen des Gedichtes mit fluoriszierender Farbe an der Wand zu lesen sein. Tagsüber wird der Text kaum sichtbar sein, aber in der Dunkelheit bekommen die Verse durch ihr Leuchten eine starke Präsenz im Raum. Die Adaptierung des Werkes für den Kirchenraum fiel mehr gar nicht schwer, es war wirklich eine große Freude für mich, das sich mir diese Möglichkeit geboten hat.
Es ist das erste Mal, dass du in einem Kirchenraum arbeitest. Wie waren deine Erfahrungen?
Die Möglichkeit mein Werk in der St. Andräkirche zu zeigen ist eine Ehre, aber auch eine Herausforderung für mich. In meiner Kunst geht es um Themen wie innerer Frieden, Vergänglichkeit, Leere, Körperlichkeit. Kunst ist für mich ein spiritueller Prozess. Es ist, wie wenn man Dinge kreiert, die dann selbst wieder etwas hervorbringen und sich weiter entwickeln. Für mich gibt es so etwas wie eine spirituelle Trias zwischen KünstlerIn, Werk und BetrachterIn. Gelungen ist ein Kunstwerk für mich, wenn die BetrachterInnen Teil des künstlerischen Prozesses werden. So wird und bleibt die Kunst lebendig. Liebe ist das Wesen der Kunst, wenn dem nicht so wäre, wäre der Schaffensprozess für mich nur wie irgendeine beliebige sportliche Übung. Das Kunstwerk kommuniziert immer mit dem Raum und verändert sich dadurch auch. Ich glaube, dass es für mein Werk „The Hollow Men“ keinen besseren Ort geben kann als einen Kirchenraum. Für mich ist das wie die Krönung des „Hollow Man“ auf seinem Weg. Der Beginn im Rahmen der Aschermittwochsliturgie und die Präsenz während der Fastenzeit fügen sich für mich als Künstlerin ganz wunderbar zu dem Werk.
Im historischen Kirchenraum von St. Andrä befinden sich schon viele andere Werke zeitgenössischer Kunst. Wie siehst du dein Werk in diesem Zusammenhang?
Durch die unterschiedlichen zeitgenössischen Kunstwerke, die schon im Kirchenraum sind, ist die Andräkirche zu einem offenen Raum des Dialoges geworden. Das ist etwas ganz anderes als in einem Museum, das ja die Verpflichtung hat, Kunst zu präsentieren. In der Kirche von St. Andrä hat man die Möglichkeit in einen vitalen intellektuellen und spirituellen Prozess hineingezogen zu werden. Denn wirklich Innovatives, Kunst die nicht einfach nur in einem modernistischen Gewand daherkommt, fordert die BetrachterInnen heraus und gibt so die Möglichkeit zur spirituellen Weiterentwicklung. Das kann man auch als Anruf Gottes verstehen. Dieser so spezielle, magische und kreative Ort sollte ein Beispiel für viele andere werden!
Du bist in Montenegro aufgewachsen, einem Land, das von der orthodoxen Tradition geprägt ist. Wie siehst du das Verhältnis zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirche?
Für mich ist Kunst eine Art von Religion. Die Beziehung zwischen Kunst und Kirche hat es immer gegeben. Aber die Rolle sowohl der Kirche als auch der Kunst innerhalb der Gesellschaft hat sich geändert. Kirche und Kunst sind auf das Gleiche hingerichtet, nämlich das Humane. Ich glaube, dass heute mehr denn je zuvor Kunst und Kirche zusammenarbeiten sollten, denn die Gesellschaft steckt in einer tiefen Krise. Ein aufrichtiger und wahrhaftiger Dialog von autonomer Kunst und Kirche ist notwendig!
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