Fastenzeit in den 40 Tagen vor Ostern – in einen Schulungs- und Erfahrungsraum des bewussten Sehens und Staunens verwandelt. Als markanteste künstlerische Arbeit in dieser Serie bleibt das 40-tägige Experiment von Christian Eisenberger in Erinnerung. Er hat sich wie ein Eremit auf der Orgelempore verschanzt, dort gearbeitet, gekocht, geschlafen und vor allem geschwiegen. Das erste Objekt zeitgenös- sischer Kunst, das in der Kirche verblieben ist, war der neue Altar von Gustav Troger im Jahr 2001. Troger hat einen bestehenden alten Mensaaltar mit einer fragilen Haut von Spiegelfragmenten überzogen. Als Zentrum der Kirche und der Liturgie funktioniert er seither wie ein strahlender Kristall, der alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann, aber auch durch das Medium Spiegel je nach Lichtsituation – scheinbar entmaterialisiert – verschwinden kann. Die Präsentation des neuen Altares geschah mit einer multimedialen Performance unter dem Titel Weisses, weisses Album. Dieser Performance folgten im Laufe der Jahre noch weitere (Karl Karner gestorben am ...; A Holy Playground; Transition u.a.), in denen die Kirche als theatralischer Erlebnisraum vermessen wurde und seine spirituelle Dichte gerade in der Bespie- lung mit einem scheinbar nur profanen Inhalt erwiesen hat. Wirkliche Meilensteine in der Entwicklung von ANDRÄ KUNST waren die Ausma- lung der Andreaskapelle im Jahr 2003 durch Otto Zitko und die Errich- tung der Dominikuskapelle im Jahr 2004, für die Michael Kienzer eine einzigartige Sakralausstattung geschaffen hat. Die Serie der Fensterge- staltungen hat 2002 mit der mittlerweile schon mehrfach publizierten Arbeit von Markus Wilfling begonnen. In der Glasfläche schwebt als Paradoxon eine Tür. Von Wilfling stammt auch die im Gewölbe der Kirche abgehängte Karussellschaukel, die Staunen und Freude bei allen Generationen auszulösen vermag. Die Serie der Gestaltung von insge- samt 15 neuen Kirchenfenstern wurde 2010 im Zusammenhang mit der Außenrenovierung der Kirche abgeschlossen. Es entstanden Arbei- ten, die durchgängig von einer konzeptuellen Bildauffassung geprägt sind und einen intensiven Kommunikationsprozess von Innen und Außen, von Sakralraum und öffentlichem Raum, stimulieren. In der Pfarre St. Andrä hängt das normale Pfarrleben, die Feier der Liturgie, die intensive Sozialarbeit der Pfarrcaritas, die Mühe um eine gute Integration von Migranten und eben das Kunstengagement aufs Engste zusammen. Das Crossover dieser pastoralen Lebensfelder charakterisiert St. Andrä mitten im multikulturellsten Bezirk von Graz. Kunst mischt sich ein und wird in ein lebendiges Beziehungsgeflecht hineingemischt. Als Kurator der Kunstinterventionen und als Pfarrer einer mit Leben gefüllten Pfarrkirche besteht meine Aufgabe darin, weiterhin Lebensräume zu öffnen, Horizonte zu weiten und allzu kleine oder verzagte Lebensentwürfe aufzubrechen. Für diese Arbeit
verdanke ich der Auseinandersetzung mit Kunst sowie der zu Grunde liegenden langjährigen Freund- schaft mit vielen Kunstschaffenden viel an Inspiration und Weitsicht des Herzens. Ohne Innovation gibt es keine Kunst, auch nicht nennenswerte Kunst in der Kirche. Die Suche nach dem Neuen ist nicht nur die Matrix der Moderne, sondern war selbstverständlich auch der Motor jedweder Weiterentwicklung quer durch die Jahrhunderte. Das Neue entsteht jedoch nicht in der Wiederholung des schon Bekannten in einem höchstens modernistischen Kleid, sondern in der Auf- wertung des Banalen und Alltäglichen, in der Umwertung der bekannten Bezüge. Wenn eine Tür aus dem Baumarkt ins Kirchenfenster eingebaut wird, wenn eine ungestüme Raumzeichnung eine Kapelle überlagert, wenn Magenta, eine Farbe aus dem Offset-Druckverfahren, mit Hilfe der Nachmittags- sonne den gesamten Kirchenraum besetzt, wenn Fernsehmonitore zu einem Block montiert und mit unterschiedlichen Programmen im Kirchenraum bespielt werden, wenn der banale Ausruf „Oh mein Gott“ und das Tic Tac Toe Spiel zu bildwürdigen Sujets werden, wenn Zeichnungen vom multikultu- rellen Fest zum Bildfries in unmittelbarer Altarnähe mutieren, dann ereignet sich tatsächlich eine Umwertung des Alltäglichen im etablierten sakralen Kult(ur)raum. Wenn ein riesiges Eichhörnchen aus Polyester zeitweise das Kirchenschiff oder banale Alltagswörter auf Dauer die Außenfassade der Kirche besetzen dürfen, dann geschieht eine Aufwertung des Profanen im Raum des Heiligen. Diese Transformation ist entscheidend. Es entsteht eine neue Bildkultur, die der ermüdeten oder zum unverbindlichen Meditationskitsch verkommenen „Kirchenkunst“ einen überraschenden Impuls zu geben vermag. Vielleicht ist ANDRÄ KUNST gerade dadurch ein ernsthafter und zugleich fröhlicher Versuch, die Kirche mithilfe vielfältiger störender und sympathischer Kunstinterventionen wieder als vitalen Austragungsort menschlicher Sehnsüchte und Verletzungen erfahrbar zu machen. Ein Versuch, Kirche als Austragungsort echter Erwartungen und Enttäuschungen, gottgemäßer Lobpreisungen und resignierter Anklagen, politischer Utopien und realer Ohnmachtserfahrungen wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung zurück zu bringen. Muss denn die Kirche immer ein ruhiger und vordergründig frommer Ort sein? Ist es nicht ebenso not- wendig, das Lebendige des Lebens, das Alltägliche des ungeschönten Daseins in der Kirche wieder zu beheimaten? Ist es nicht absolut wichtig, die Kirche wieder für alle Menschen zu öffnen, egal ob sie gläubig sind oder nicht? Die Kirche ist doch ein öffentlicher Raum, wenn auch kein neutraler Veranstaltungsraum. Inmitten aller wirtschaftlich nutz- baren Räume provoziert sie als nicht funktionalisierbare Freifläche. Als heiliger Raum und als Raum für das Heilige ist sie an sich auch schon ein Störfall inmitten einer auf Leistung und wirtschaftlichen Ertrag getrimmten Gesellschaft. Und die Einbeziehung von zeitgenössischer Kunst potenziert diesen Störfall Kirche. Kunst muss stören. Kunst muss provozieren. Sie erfüllt damit eine ihrer Grundfunktionen. Sie muss starre Systeme in Frage stellen und festgefahrene Denk- und Lebens- schemata destabilisieren. Sie muss Verunsicherungen auslösen, weil sie sonst zu keiner wesentlichen Neuorientierung beitragen kann. ANDRÄ KUNST wollte diese Störungen und hat sie bewusst zuge- lassen. Es geht um einen unverzichtbaren geistigen und geistlichen Prozess. Zugelassene Störungen holen den Einzelnen und die Pfarr- gemeinde aus einer vermeintlichen Sicherheit – betreffend Weltan- schauung, gelerntes Glaubenswissen und moralische Überzeugungen – heraus. Irritationen bieten die Chance zu einem geistigen Wachsen und können auch als Anruf Gottes in einer ganz spezifischen Situation verstanden werden. Wer sich irritieren lässt, profitiert längerfristig, weil er sich in eine Schule der erhöhten Aufmerksamkeit begibt.