Die Kirche ist kein Museum

tantrow - kirche kein museum

Katrin Bucher Trantow

Mancherorts verlangt die katholische Kirche Eintritt. So einzigartig, bekannt und bedeutend sind die dort versammelten Kunstwerke, dass sich die Gläubigen vor den Kunsttouristen schützen müssen. Und doch stehen sich beide in ihrer Suche äußerst nahe: Wo die einen im gemeinschaftlichen Glauben Antworten auf existenzielle Fragen zum Leben und zur Lebensgestaltung suchen, verlangen die anderen den Spiegel des Lebens in der Kunst. Die Kirche ist Versammlungsraum einer Gemeinschaft; sie ist heilig, markiert eine göttliche Präsenz und ist Ort der Kontemplation. Das Museum andererseits ist eine öffentlich zugängliche Sammlung gesellschaftlich relevanter und anerkannter Zeugnisse. Es gilt als Konservator gesellschaftlicher Werte, aber auch als Motor einer vergleichenden Reflexion. Beide fungieren als Erinnerungsspeicher, nehmen Impulse aus der Gegenwart auf, fordern die Beteiligung und versprechen die Weiterentwicklung des Publikums.
Allein diese sprachlichen Definitionen machen ersichtlich, wie sehr Museum und Kirche einander nahe stehen. Als Reflexionsorte definieren sie sich über ihre gesellschaftliche Relevanz durch Tradition mit Gegenwartsbezug und „stehen sich nahe, weil sie den Besucher in einen größeren Verstehenshorizont seiner eigenen Existenz und Geschich­te einbinden – und in diesem Sinn auch über das bloß Fak­tische des Alltags hinausweisen.“2 Als Tempel der Weisheit sind sie auch äußerlich eng verwandt. Fragt man (auch heute noch) Architekten, was sie in ihrem Leben gerne bauen würden, so lautet die Antwort auffallend oft „eine Kirche“. Nirgendwo sonst, so die Begründung, könne man sich so sehr auf die künstlerischen Aspekte der Disziplin konzentrieren wie im Sakralbau.3 Zweitbester Ort ist das Museum, das, betrachtet man den jüngeren Museumsboom, als Ikone bereits zum Standard geworden ist. „Nicht wenige Museen erzeugen im Zusammenspiel von Architektur, Ausstellungsdesign und Vermittlung eine nahezu sakrale Andachtsstimmung. Sie evozieren die geistigen und emotionalen Kräfte des Betrachters und fokussieren sie auf bestimmte Objekte. Ein Vorgang, der kultische Züge annehmen kann.“4
Bischof Egon Kapellari erkennt im „provozierend Neuen des zeitgenössischen Kunstschaffens eine Verwandtschaft zum Prophetischen in der Religion“ und fordert „aktiv eine Offenheit der Kirche gegenüber dem Prophetischen in der Kunst“.5 Hermann Glettlers Position mag dabei geradezu als Leitbild dienen: er ist Priester, Kurator und Intendant der Kirche St. Andrä in Graz und übernimmt dabei die Vermittlerrolle in vielfacher Hinsicht. Als studierter Kunsthistoriker argumentiert er dami­t aus einer persönlichen Überzeugung an die Kraft der Kunst. Wenn er als Vermittler einer gelebten Religiosität sich dabei auf die Kraft der Kunst stützt, tut er dies nicht in der eingebürgerten Sprache einer kanonisierten und lobpreisenden (aber in der Auseinandersetzung der Gegenwartskunst fast gänzlich ignorierten) „Ars Sacra“, sondern in der durchaus auch schwergewichtigen Auseinandersetzung mit Künstlerinnen und Künstlern aus dem zeitgenössischen Kunstdiskurs. In diesem Sinne hält er sich dann auch an das zweite Vatikanische Konzil, in dem Johanne­s XXIII. die bis heute wirkende Weisung erteilte, die Kirche nicht zum Museum zu machen. Denn dem Papst ging es dabei weniger um kunstferne Kirchen, noch um die Frage der Konservierung musealer Kunstschätze, als um die Forderung nach der Vermittlung des „lebendigen“ Glaubens. Dementsprechend ist eine museale Kirche nach Glettler tot, sie braucht eine „kultivierte Unruhe“, die durchaus durch die Fragen der in die Kirche integrierten Werke zustande kommt. Im Vokabular des zeitgenössischen Kunstdiskurses betont er, dass die katholische Liturgie „mit der ihr eigenen Dichte von Wort- und Textelementen, ritualisierten Gesten, Symbolhandlungen und sinnfälligen Zeichen eine starke Performance ist, wenn sie lebendig und geistvoll vollzogen wird.“6

Nahrenschiff - Glettler, Stefan

Kirche als Museum, Museum als Kirche
In den letzten Jahren werden säkularisierte Kirchen vermehrt zu Kunsträumen zeitgenössischer Kunst. Von Krems und der an die Landesgalerie Niederösterreich angeschlossenen Dominikanerkirche, die seit 2012, österreichische Einzelpositionen zeigt, bis zum vom Galeristen Johann König neu umfunk­tionierten 1960er-Jahre Betonjuwel der St. Agnes Kirche in Berlin, werden die Gebäude als auratische Orte für die Kunst entdeckt.7 Es ist, als böten ehemalige Kirchen das ideale Podest für ein Eintauchen in die Kunst. An der Berlin Biennale 2012 hat Pawel Althamer für sein Projekt A Draughtmans Congress in der St. Elisabeth Kirche Passant/innen und Besucher/innen der Kunstschau eingeladen, an einem kollektiv erfahrbaren, sozialen Zeichen-Ereignis teilzuhaben. Auch dort wird die Kirche als Performance­raum erkannt, der er durch jahrelanges Mit-Erleben der Liturgie wurde.
Umgekehrt setzen sich viele Kirchen und insbesondere Ihre Vertreter mit der Rolle der Kunst aus­einander. So konfrontierten Stephan Balkenhols zart-verstörende Figuren an der Sankt-Elisabeth-Kirche in Kassel Gläubige wie Besucher der Documenta mit diesseitigen wie jenseitigen Realitätsfragen. Doch gerade in Graz sind sowohl die Minoriten als auch die Katholische Hochschulgemeinde gemeinsam mit St. Andrä seit vielen Jahren aktive Träger einer Diskussion um zentrale Fragen des Lebens im Dialog zwischen Religion und zeitgenössischer Kunst. Während dabei allerdings bei den Kollegen meist nicht der Kirchenraum an sich konfrontiert oder „bespielt“, sondern der Außenraum oder der klösterliche Galerieraum für den Diskurs genutzt wird, begibt sich St. Andrä mit der Auseinandersetzung direkt in den spirituellen Ort und zwischen die – nicht primär kunstsinnigen Gläubigen – hinein.8 Damit begibt sich der Pfarrer/Intendant auf durchaus schwieriges Terrain, fordert seine Gemeinde genauso heraus wie die meist ortsspezifisch arbeitenden Kunstschaffenden.

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Kunstkirche
Viele der während der 15-jährigen Priesterstelle Hermann Glettlers entstandenen künstlerischen Arbeiten sind in der Kirche St. Andrä permanent und sorgen damit in gewissem Sinne für ein Kontinuum der traditionellen Ausstattung der Kirche durch Kunst.
Daneben entstehen immer wieder thematisch, räumlich oder Liturgie-spezifische temporäre Arbeiten, wie etwa die performative „Kreuzi­gung“ von Hermann Nitsch, die absurd-groteske Inszenierung des Begräbnisses von Karl Karner oder die sprachlogisch herausfordernden Interventionen von Markus Wilfling. Glettler nutzt damit eine Strategie zeitgenössischer Kunst der ortsspezifischen Intervention für einen religiösen, gesellschaftlichen und künstlerischen Diskurs.
Aus dem Performativen der ortsspezifischen Intervention heraus und damit auch über eine historisch und liturgisch argumentierbare Strategie künstlerischer Vermittlung und Reflexion hinaus sind nun aber die bisher zwei thematischen Gruppenausstellungen zu lesen, in denen der Kirchenraum geradezu radikal zur musealen Kunsthalle wurde. Die erste war die im steirischen herbst im Oktober 2000 stattfindende Ausstellung nadeir – nicht da, die dem Holocaust und der Zerstörung der Synagoge in Graz gewidmet war. Zur Wiedereröffnung der aufgebauten, aber viel zu leeren Synagoge war es Glettler ein Anliegen, ein Zeichen zu setzen, das dem traumatischen Verlust gewidmet war. Das Zeichen, das er mit der Ausstellung im Kirchenraum setzte, stellte sich einem Dialog des Glaubens. Gleichzeitig war es eine Aufarbeitung der Mitschuld und ein Anlauf gegen die Verdrängung. Im Gespräch mit Richard Ames, dem damaligen Kantor der jüdischen Gemeinde, kristallisierte sich das Thema des Verschwindens heraus und wurde zum Schlüsselmetapher für die Auseinandersetzung. Eingeladen sich an dieser zu beteiligen, wurden über 10 Künstler/innen aus ganz Österreich. Fedo Ertl führte dafür ein bewegendes Interview mit dem Grazer Emigranten Dr. Bader und zeigte das auf einem permanent laufenden Video. Die Arbeit 1938/85 war eine inhaltliche Weiterführung seines früheren, bereits im Forum Stadtpark gezeigten Projekts eines offen gelegten und beschrifteten Ziegels der Grundmauer der ehemaligen Synagoge. Heribert Friedl wiederum konfrontierte die Passanten und die Gläubigen in einem kargen Verschlag an der Seite der Kirche mit den Geruch der Verwesung.
Michael Kienzer bezog sich auf die enge Verbundenheit der beiden Religionen und verknotete zwei Luster im Kirchenraum. Katharina Heinrich verhüllte den Hauptaltar mit einem riesigen, stetig wachsenden Geflecht aus Plastikbändern und gab damit dem „Thema der Ab- und Anwesenheit ein besonders dynamisches Moment, auch hinsichtlich des Prinzips Hoffnung auf Veränderung“.9

Born 1989 war die zweite thematische Ausstellung, die sich 2009 mit einem anderen europäischen Trauma auseinandersetzte und zur Geschichtsaufarbeitung auf mehreren Ebenen wurde. Die Ausstellung versammelte damals eine Gruppe 20-jähriger Absolvent/innen der Kunstuniversität aus Prag und ließ sie in der Kirche zum Verständnis ihres bedeutungsvollen Geburtsjahrs arbeiten. Mit Interven­tionen im Raum wie den verblassenden Fotografien von offenen Büchern von Jan Brož – die Betrachter ahnten, dass es Bibeln waren – oder der „realtime“ Projektion eines Internet-Chats auf den Altar Jakub Geltners wurde es eine heftig diskutierte Ausstellung über das Vergessen, das Verdrängen und die Rolle der gemeinschaftlich anerkannten Niederschrift der politischen, aber auch der religiösen Geschichtsschreibung.10
Die temporären Ausstellungen bezogen sich damit auf Anliegen, die weit über die metaphorische Übersetzung der Liturgie hinaus gingen. Als thematische Aufarbeitungen widmeten sie sich ganz aktuell und explizit einem politischen Diskurs wie auch einem Verständnis des religiösen Auftrags der Kirche als Mit- und Umgestalterin der Gesellschaft. Glettler stellt in diesem Vorgehen die Kirche und die Religion mitten in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs und befragt sie auch auf ihr Selbstverständnis. Dies ist, wenn auch außergewöhnlich und in der Methode museal, im Sinne des Entmusealisierungsaufrufs des 2. Vatikanischen Konzils, äußerst präzise und konsequent. Im Idealfall geschieht, was das Museum ebenso anstrebt: nicht in erster Linie Anerkanntes zu zeigen, das Eintritte generiert, sondern Ort der Erkenntnis zu sein.

 

  1. Worte Johannes XXIII. an alle Theologen, die an der Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils mitgearbeitet haben. (1962/63). Der Papst wies in Lumen Gentium (Das Licht der Völker) wie auch in der lateinischen Eröffnungsansprache Gaudet Mater Ecclesia (Es freut sich die Mutter Kirche) ausdrücklich darauf hin, dass eine gewisse Aktualisierung dogmatischer Sätze im Sinne ihrer Orientierung auf das Verständnis des gegenwärtigen Zeitalters möglich und notwendig sei. Denn das eine sei das ewige Dogma, die bleibende Wahrheit, ein anderes die Ausdrucksweise der jeweiligen Zeit. Vgl. Lumen Gentium, Kapitel 2, Absatz 16, http://www.stjosef.at/konzil/LG.htm und Gaudet Mater ecclesia: http://www.ub.uni-freiburg.de/fileadmin/ub/referate/04/semapp/konzil.html
  2. Hermann Glettler, 24.6.2013, aus einem E-Mail-Gespräch mit Katrin Bucher Trantow.
  3. Aus: Franziska Leeb, Basiswissen vernetzt: Grundwissen Kirchenbau. In: Kunst und Kirche 1/2013, S. 85.
  4. Vgl. Fussnote 2.
  5. Vgl. Egon Kapellari, Interview mit Günther Trauhsig. In: Kärntner Landeskulturzeitschrift die brücke, Klagenfurt, April 2003.
  6. Vgl. Fussnote 2.
  7. Vgl. Die Zeit, St. Agnes – Eine feste Burg für die Kunst, Thomas Timm, 16.2.2012.
  8. Als Vorbilder und Verwandte dieses gewagten Vorgehens sind die Kunststation in Köln (in der Hermann Glettler am Anfang seiner Laufbahn predigte) oder die mit ungeheurer Strahlkraft wirkende Salvatorkirche in Prag zu nennen, die ebenso immer wieder künstlerische Interventionen im und mit der Kirche provozieren.
  9. Walter Titz, Kleine Zeitung, 10, 2000, vgl. http://www.steirischerherbst.at/2000/axg.html