Kinga Tóth

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Kinga Tóth

Geboren 1983 in Sárvár, Ungarn, studierte Sprachwissenschaften. Sie ist Autorin, unterrichtet deutsche Sprache und Literatur und arbeitet als Journalistin. Kinga Tóth schreibt in den Sprachen Englisch, Deutsch und Ungarisch vor allem Lyrik aber auch Kurzgeschichten und Theaterstücke und arbeitet spartenübergreifend. So performt sie ihre lyrischen Texte häufig mit Soundunterstützung, hat einige ihrer Gedichtbände selbst illustriert. Sie tritt mit ihren Performances international auf Festivals und Buchmessen auf und ist daneben Songwriterin und Frontfrau für das Tóth Kína Hegyfalu-Projekt. Kinga Tóth ist Mitglied der József Attila Vereinigung für junge Schreibende. 2013 war sie Stipendiatin der Akademie Schloss Solitude, 2017 Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin. 2018/19 war sie Stadtschreiberin in Graz und ist verantwortlich für das Literaturressort des Forum Stadtpark Graz.

Veröffentlichungen u.a.:
Zsúr. Gedichte mit Illustrationen (Prae Kiadó 2013)
Allmaschine. Gedichte (Akademie Schloss Solitude 2014)
All Machine. Gedichte (Magvető Kiadó 2014)
Wir bauen eine Stadt. Gedichte, Grafik, Fotos (Parasitenpresse 2016)
Village 0-24. Gedichte, Grafik und Soundkunst (Melting Books Publisher 2016)
Party. Gedichte mit Illustrationen (Bird LCC Publishing House 2017)


Interview, Sonntagsblatt 12.5.2019

 „Diese Frau lässt mich nicht los“

Zu Offenheit und Empathie will Kinga Tóth (*1983 in Sárvár, Ungarn) mit ihrer künstlerischen Arbeit ermutigen. Sie ist in mehreren Kunstsparten zu Hause und interessiert sich auch für die Lebensgeschichten heiliger Frauen. In Graz-St. Andrä gestaltet sie auf der Grundlage alter Marienlieder eine Kunst-Maiandacht, zusammen mit dem Musiker Michael Eisl. Die Grazer Stadtschreiberin Kinga Tóth im Gespräch mit Elisabeth Wimmer.

 

Du gestaltest zusammen mit dem Musiker Michael Eisl am 15. Mai eine Kunst-Mai­andacht. Ihr geht von alten Marienliedern aus. Was interessiert dich an Maria?

 

Diese Frau ist überall, sie lässt mich nicht los. Bei meiner ersten Begegnung mit der heiligen Maria war ich noch ein Kind. Wir wohnten in einem ungarischen Dorf gleich neben der katholischen Kirche. Drinnen war eine Mari­enstatue, die mir sehr gefallen hat. Ich erin­nere mich genau, sie hatte eine so friedliche Ausstrahlung. Sie war dort nicht als leidende Maria dargestellt, es war eine starke, aber friedliche Maria. – Und dann kam sie immer wieder zu mir zurück. 2015 sollte ich dann bei einem Festival in London einen Beitrag gestalten, gemeinsam mit der irischen Künstlerin Kimberley Cam­panello. Wir kannten einander noch nicht, beim Vorbereiten haben wir die heilige Maria als gemeinsame Faszination entdeckt. Es ist ein schöner gemeinsamer Beitrag geworden, und daraus hat sich dann unsere Freund­schaft entwickelt. Ein Jahr später habe ich mit einer deutschen Dichterin noch eine Maria-Performance gemacht. Ihre Sicht war mir fremd. Sie hatte damals im Gegensatz zu mir schon ein Kind. Wir wollten die zwei Wahrnehmungen von Maria zeigen: die Jung­frau Maria, noch ohne Jesus, und Maria als Mutter, die aber dann den Sohn verliert. Was geschieht mit ihr in der entstehenden Leere?

Später habe ich noch andere heilige Frauen und ihre Geschichten entdeckt, besonders jene, deren Namen in unserer Familie vor­kommen: Kinga (Kunigunde von Polen, Anm. d. Red.), Katharina von Alexandrien, Margarethe und Elisabeth von Thüringen, die wie Kinga auch aus Ungarn stammte.

 

Und die Geschichte dieser Frauen nimmst du in die Kunst-Maiandacht mit hinein?

 

Genau. Und ich kombiniere sie mit sehr alten Marienliedern, aus dem späten 18. und frü­hen 19. Jahrhundert. Der Musiker Michael Eisl arbeitet mit den alten Melodien, und ich habe zu den alten Texten neue Gedichte geschrieben. Darin lasse ich moderne Frauen unserer Welt mit all ihrer neuen Technologie sprechen; sie sehen die Welt anders als früher. Aber trotzdem wenden sie sich an diese alten heiligen Frauen und versuchen, etwas von ihnen zu lernen. Ich suche die Verbindung, ich möchte sehen, ob ein Gespräch zwischen ihnen zustande kommen kann, ob sie sich treffen können. Das interessiert mich.

Diese heiligen Frauen sind für mich tapfere, feministische Frauen, die viel für andere, für die Gesellschaft getan haben. Ich finde richtig gut, dass sie in ihrer Zeit so aktiv sein konn­ten. Diese Kraft müssen wir lernen. Sie sind gute Beispiele.

 

Und wie siehst du Maria?

 

Ich sehe ihren Frieden, so wie ich ihn in mei­ner Erinnerung als Kind vor der Marienstatue in der Dorfkirche gespürt habe. Dass sie das ganze Geschehen mit ihr so tragen konnte, dass sie so einverstanden sein konnte.

Ihre Position war die komplexeste, denke ich. Sie musste ein Gefäß sein, doch diese Interpretation mag ich nicht so gern, wenn man sie nur körperlich verstehen würde. Hier drängt sich für mich ein Bezug zu unserer Zeit auf: Unsere ungarische Regierung sieht es als Aufgabe jeder ungarischen Frau, für die Gesellschaft vier Kinder zu bekommen. Viele Ungarinnen ärgert das. Sie wissen, sie können auf verschiedene Art und Weise etwas für die Gesellschaft tun, nicht nur durch Gebären.

Maria sehe ich als normale starke Frau, die eine Nachricht bekommt und das richtig gut hinkriegt. Es gibt solche Frauen auch heut­zutage. Eine so schwierige Aufgabe wünscht man sich nicht unbedingt. Jesus war sicher ein Kind mit besonderen und vielleicht son­derbaren Eigenschaften und Eigenheiten. Dazu brauchte er eine solche Mutter, die ihm die Freiheit geben konnte, die ihn weggehen lassen konnte. Die das Verständnis gehabt hat, dass der Sohn seinen eigenen Weg hat. Die diese freie Liebe ausüben konnte. Viele Mütter haben Schwierigkeiten beim Los­lassen, kümmern sich ein bisschen zu viel und lassen ihre Kinder nicht frei denken und eigene Erfahrungen machen. Ich denke, Maria hat das gut gemacht.

 

Texte, Stimme, Sound und Bilder bringst du in deinen Performances zusammen, und immer wieder Inhalte, die auf den ersten Blick gegensätzlich sind, etwa Natur und Technik. Was verbindest du mit dem Titel der Kunst-Maiandacht „MariaMachina“?

 

Ja, ich mag es, Inhalte – und Menschen – zu vernetzen und Grenzbereiche zu erforschen. Zum Beispiel beschäftigen mich die Grenzen zwischen dem Lebendigen und dem Nicht- Lebendigen. Meine Mutter ist Biologieleh­rerin, mein Vater Ingenieur. Ich bin mit Fragen aus beiden Bereichen aufgewachsen und verbinde sie in meiner künstlerischen Arbeit immer wieder. Auch an Maria interes­sierten mich über die Lieder, die Tradition, die erzählte Geschichte hinaus auch, welche Funktion Maria hat, die Eigenschaften, die Bewegung, die Charakteristik dieser Figur – deswegen auch „Machina“.

 

Welche Bedeutung hat Religion in deinem Leben?

 

Ich bin evangelisch, das war meine Entschei­dung, als ich zwölf Jahre alt war. Damals gab es in unserer kleinen Stadt einen sehr jungen Pastor und seine Frau. Ihr Glaube war nicht nur im Gottesdienst spürbar, sondern auch in ihrem Tun, das hat mich fasziniert. Wenn die beiden zum Beispiel eine Salami hatten, hat der Pastor sie wirklich in 20 Stück geschnitten und unter den älteren Leuten aufgeteilt. Die evangelische Kirche in Ungarn war ja damals

 nicht reich, auch die katholische nicht. Es gab viele Aktivitäten für Kinder und Jugend­liche, so ist Gemeinschaft entstanden. Diese Zeit war eine große Inspiration für mich. Mit­einander reden und nachdenken, und dann tun. Dass wir füreinander verantwortlich sind und füreinander Gutes tun sollen, das habe ich von damals mitgenommen, es ist die Grundlage vieler Religionen.

 

Religion hat also für dich sehr stark mit Gemeinschaft und gutem Leben zu tun. Welchen Platz hat für dich Gott dabei …

 

Wo wirklich Gutherzigkeit ist, da ist Gott. Und wo Wunder geschehen. Das habe ich auch am eigenen Leib erlebt. Wegen einer Krankheit war in meiner Kindheit nicht klar, ob ich längere Zeit überleben kann. Jetzt bin ich 36 Jahre alt und bin gesund. Das war „eigentlich“ nicht vorhersehbar. Und das ist nur meine Geschichte, ich kenne noch viele dieser Art. Gott? In besonderen Momen­ten, wo etwas Helles zwischen Menschen geschieht.